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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Editor]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 10.1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.7145#0018
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— 158 —

dazu diente, dem Gemälde einen Namen zu geben, — darge-
ſtoſſt mnrden

Mehrere dieſen Gegenſtand darſtellende Beiſpiele ſind ſehr
berühmt.

rührt dem ſchlummernden Gefangenen weckend die Schulter. Jn
der zweiten Abtheilung zur Rechten vom Beſchauer ſehen wir
den noch halb träumenden Apoſtel im Begriffe, an der Hand
des göttlichen Erretters, deſſen himmliſche Lichterſcheinung die
Scene erhellt, die Stufen des Gefängniſſes hinab ſteigen.
,,Die erſte Hut'', zwei Wache zu halten beorderte Kriegsknechte,
liegen, vom Schlafe überwältigt, auf dieſen Stufen. Die dritte,
linke Abtheilung aber zeigt uns den vollendeten Act der wunder-
baren Befreiung. Der gefangene Apoſtel hat den Kerker ver-
laſſen und iſt bereits in die Stadt und ,,in das Haus der Maria,
der Mutter des Johannes, mit dem Zunamen Marcus'', ent-
kommen, das ihn ſchirmend aufnahm, ehe er ſeine weitere Flucht
mit Hilfe der Gemeinde bewerkſtelligte. Zwei Soldaten dieſer
zweiten Wache ſind aus dem Schlafe erwacht; der eine der-
ſelben, mit einer Fackel in der Hand, erweckt ſoeben den dritten
und ruft ihm, auf die Kerkerzelle deutend, die Schreckenskunde
zu, daß der Gefangene entflohen ſei, die der erwachende Kriegs-
knecht mit Erſtaunen und Entſetzen vernimmt. Ein anderer hat
das Schwert gezogen und hält, vom Fackellichte geblendet, den
Arm ſchützend vor das Geſicht, der vierte iſt noch in Schlaf
verſunken. Durch die aufſteigende Treppenhalle ſieht man in's
Freie, wo, vom ſchwachen Mondlicht beglänzt, in der Ferue die
Zinnen und Thürme der Stadt erſcheinen.
Jch kenne kein zweites Beiſpiel, in welchem dieſe, ſchwierige
Aufgabe: eine mehrfach der Zeit nach abgeſtufte Handlung in
voller Klarheit zur Anſchauung zu bringen, ſo glücklich gelöst
wäre, wie in dieſem Bilde, wo uns Alles ſprechend bedeutſam,
Alles klar verſtändlich, Alles die Aufgabe erſchöpfend entgegen-
tritt. Dem dreifach ſich gliedernden Vorgang entſpricht auf eine
bewunderungswürdige Weiſe in der Aufführung auch die drei-
fache Beleuchtung desſelben. Denn die beiden Acte des Wunders
der Befreiung ſelbſt erhellt das wunderbare, von dem göttlichen
Sendboten ausgeſtrahlte himmliſche Licht, während in dem dritten
Acte der Moment der Entdeckung des Geſchehenen durch die
Wächter, der uns die Gewißheit der gelungenen Errettung des
gefangenen Apoſtels gibt, von dem Doppellichte des Mondes
und der Fackel in der Hand des Kriegsknechts beleuchtet erſcheint.
Es war dieſes Bild, wie Paſſavant bemerkt, eins der früheſten
Beiſpiele eines Nachtbeleuchtungs-Effectes bei den Jtalienern
und erregte auch deßhalb die größte Bewunderung der Zeit-
genoſſen.
Man hat gefragt: warum Raphael ſtatt der römiſchen
Tracht und Bewaffnung, die hier hiſtoriſch gefordert war und
die wir auf ſeinen Bildern ſonſt regelmäßig in Darſtellung
kriegeriſcher Geſtalten aus römiſchen und viel früheren Zeiten
finden, gerade auf dieſem Bilde die wachthabenden Krieger
vielmehr in einer Ausrüſtung dargeſtellt habe, welche die Eiſeu-
panzer, Harniſche und Sturmhauben ſeiner Zeit zeigt? Die
Autwort darauf hat ſchon Vaſari gegeben. Der Meiſter wollte
durch dieſen Anachronismus auf jene obenerwähnte Befreiung
des Papſtes Leo X. näher hindeuten, als deren ſymboliſches
Vorbild die dargeſtellte Errettung des Apoſtels aus der Ge-
fangenſchaft gelten ſollte.
Die Befreiung des hl. Petrus wurde ſtets als die
bildliche Darſtellung der Befreiung der Kirche betrachtet, und
die zwei anderen Frescogemälde in dieſem Raume, der Helio-
dorus und Attila, laſſen dieſelbe Auslegung zu. Es iſt der
Mühe werth, dieſe dramatiſche Compoſition Raphaels mit an-
deren zu vergleichen, in welchen die Geſchichte blos ein Mitteſ
zur Hervorbringung künſtlicher Lichteffecte iſt, wie in einem
Gemaͤlde von Gerard Honthorſt, oder wie eine übernatürliche
Viſion behandelt iſt, wie von dem poetiſchen Rembrandt.
(Fortſetzung folgt.)

Maſaccio hat in den Frescogemälden der Brancaccio-
Kapelle den hl. Petrus im Gefängniß dargeſtellt, wie er zu
den großen Fenſtern hinaus ſchaut und Paulus der von außen
herein mit ihm ſpricht. (Die edle Figur des hl. Paulus in
dieſem Frescogemälde wurde von Raphael in der Predigt des
hl. Paulus zu Athen nachgeahmt.) Jn der nächſten Abthei-
lung der Reihe ſtellt Maſaccio dar, wie der Engel den hl.
Petrus aus dem Gefängniß fortführt, während die Wache am
Thore ſchläft; er ſchläft wie einer, der in einem unnatürlichen
Schlafe überwältigt wurde.
Die ,,Befreiung des hl. Petrus.'' Papſt Leo X.
(Giovanni de' Medici) hatte unter ſeinem Vorgänger als
Cardinal-Legat den Feldzug der hl. Liga gegen die Franzoſen
mitgemacht und war in der Schlacht von Ravenna von den
letzteren gefangen genommen worden. Faſt durch ein Wunder
war es ihm gelungen, aus dieſer Gefangenſchaft zu entkommen,
und ein Jahr nachher ſah er ſich am Tage ſeiner Befreiung
zum Papſte erwählt. Das war Grund genug, Raphael zu
veranlaſſen, in dem erſten Bilde, welches er im Dienſte des
neuen Herrſchers malte, deſſen wunderbare Errettung aus der
Gefangenſchaft durch eine ſymboliſche Darſtellung zu feiern,
deren Gegenſtand er aus der Lebensgeſchichte des Apoſtelfürſten
Petrus entnahm.
Die Apoſtelgeſchichte (Cap. J) erzählt folgendermaßen:
Der König Herodes Agrippa, Enkel Herodes' des Großen,
hatte den feurigen Prediger des neuen Evangeliums in Jeru-
ſalem gefangen ſetzen laſſen, um ihm den Proceß als Auf-
wiegler des Volkes zu machen. Eine Abtheilung Soldaten, die
ſich je vier zu vier ablösten, waren mit ſeiner Bewachung im
Kerker beauftragt, und der Sicherheit wegen waren die zwei
Kriegsknechte, welche ihn in ſeiner Zelle bewachten, ſogar —
nach römiſcher Sitte — durch Ketten an ihn angeſchloſſen,
während die anderen vor der Thüre Wache hielten. Jn der
Nacht aber vor dem zu ſeiner Hinrichtung angeſetzten Tage kam
der Engel des Herrn; die dunkle Zelle erleuchtete ſich plötzlich,
und der göttliche Bote weckte den ſchlafenden Apoſtel mit den
Worten: ,, Steh' eilends auf!'' Alsbald fielen ihm die Ketten
von den Händen; der Engel aber ſprach: ,,Gürte dich und
ziehe deine Schuhe an.'' Und er that alſo. Und wieder ſprach
der Engel: ,,Wirf deinen Mantel um und folge mir!'' Und
er ging hinaus und folgte ihm und wußte nicht, ob ihm in
Wahrheit ſolches geſchehen durch den Engel, ſondern es däuchte
ihm, er träume. Sie gingen aber durch die erſte und zweite
Wache und kamen zur äußern Thüre, welche zur Stadt führt;
die that ſich ihnen von ſelber auf und ſie traten hinaus.
Auch hier hat Raphael, wie wir beim erſten Blicke auf
unſer Bild wahrnehmen, wiederum die durch das Wandfenſter
gegebene Raumſchwierigkeit vortheilhaft für ſeine Darſtellung
verwandt, indem er es dazu benutzte, die in der Erzählung
vorkommende Doppelhandlung: nämlich die Erſcheinung des
Engels in der Kerkerzelle des Apoſtels ſelbſt und die dem-
nächſtige wunderbare Hindurchführung des Gefangenen durch
die zwiefachen Wachtpoſten in einem und demſelben Bilde auf
das glücklichſte vor die Augen zu führen. Das Bild gliedert
ſich dadurch von ſelbſt in drei Abtheilungen. Jn der mittlern,
zu oberſt befindlichen, zeigt uns ein Blick durch die Eiſengitter,
welche die Kerkerzelle verſchließen, den gefangenen Apoſtel ſchlafend
auf der Erde hingeſtreckt und mit Hand und Fuß je an einen
der beiden Kriegsknechte gefeſſelt, welche, auf ihre Hellebarden
geſtützt, ſchlafend an der Wand lehnen. Der Sendbote Gottes,
deſſen Lichtſchein das Dunkel des Kerkers mit Tageshelle erfüllt,
 
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