Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — [1].1858

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22171#0017
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
11

scheinen uns entgegen, wohin wir uns wenden, wie die Lust athmen wir sie
ein ohne es zu wissen. Jn diesem Sinne ist die Kunst eine Macht wie sast
keine andere aus Erden.

Man glaube nicht, daß es sich dabei nur von dem Eigensinne gleichgultiger
Mode handele; in den Formen liegt eine sittliche Bedeutnng. Sie lehren nicht,
sie erwecken nicht deutliche Gedanken und Gefuhle, aber sie geben der Seele
Ton nnd Stimmung, sie durchdringen den Boden, auf welcheni Gedanken und
Gefühle wachsen, nnd sördern oder hindern die Möglichkeit ihres Gedeihens.
Sie stehen daher auch in innerer Beziehnng zu den Aufgaben der Kirche. Der
Geist, der in ihnen lebt, dringt auch durch die verschlossene Kirchenthür, steigt
mit dem Prediger ans die Kanzel, klingt, ihm unbewußt unv selbst im Wider-
spruche mit seiner Absicht, in seiner Rede an. Und gelänge es auch, diesem
Geiste die Thüren zn verschließen, so herrscht er draußen, empsängt die heraus-
tretenden Zuhörer, ruft sie mit tausend Stimmen an, übertänbt das eben ge-
hörte Wort, verwandelt es, wenn sie es aussprechen wollen, auf ihren eigenen
Lippen.

Aber so groß diese Macht der Kunst in ihrem Bestehen ist, gleichbleibend,
selbstständig ist sie nicht. Sie solgt dem Anstoße, den ihr die sittlichen Elemente
in der weltgeschichtlichen Entwickelnng geben, sie hängt von den Aufgaben ab,
die ihr gestellt werden. Diese Elemente in Harmonie zn setzen, ihnen sormellen
Ausdruck zu leihen, ihren Conseqnenzen zu solgen, das allein ist ihre Aufgabe,
ihre Arbeit, welche sie stillschweigend aber sicher vollbringt. Sie ist eben Form
und des Stofses bedürstig.

Mag nnn auch die hentige Kunst an sencr direkt einwirkenden, erregenden
Kraft verloren haben, diese mittelbare, stimmende Wirkung übt sie im höchstcn
Maaße aus. Jch brauche daher kaum hinzuzufügen, daß jene Gleichgültigkeit
schwerlich gerechtfertigt ist.

Jch habe überall nur Andeutungen geben können, und weiß sehr wohl, daß
sie Mißverständnissen ausgesetzt sind. Nur gegen die stärksten möchte ich mich
verwahren. Theologen, welche von diesem Geiste der Form nichts wissen, in
ihm vielleicht eine Gestaltnng des Geistes der Welt erkennen wollen, mit dem
Christi Jünger nichts gemein haben, bitte ich zu erwägen, daß dann jene Gleich-
gültigkeit gewiß nicht am Platze wäre, sondern eine puritanische Strenge, wie
sie noch nicht da gewesen ist. Frennden der Kunst gegenüber, welche von ihrer
Verbindung mit der Kirche eine hierarchische Bevormundung derselben besürchten
möchten, dars ich behaupten, daß die höhere Kunst sich nach dieser Verbindnng
sehnt, und daß sie dadnrch eher befreit als geknechtet werden wird, besreit nehm-
lich von vem krankhaft ansgearteten Naturalismus, mit dem sie jetzt vergeblich
ringt. Ja auch die andern, mehr realistischen Kunstgattungen können dadurch
nur gewinuen, wie Jeder zugeben wird, der den gewaltigen llnterschied zwischen
der Genremalerei des siebenzehnten Jahrhunderts und der heutigen fühlt.
Gerade die leichtere Kunst bedarf des Stples am Meisten und die Komik ge-
deiht nur auf dem Boden einer ernsten Gesinnung. Zum Beschlusse noch die
kaum nöthige Bemerkung, daß ich weit entfernt bin mir einzubilden, über Nacht,
durch einige Dutzend oder einige hundert kirchliche Kunstwerke Ton und Charakter
 
Annotationen