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Das Hohe Lied Salomonis.

Aus der Bibel in Bildern von Schnorr von Carolsfeld. — Gedanken eines Laien.

Vor mir liegt die 27. und 28. Lieferung der Bibel in Bildern von Schnorr
von Carolsseld. Wie ich überhaupt diese Bibel für das Vollendetste halte, was
in dieser Gattung die religiöse Kunst der Neuzeit geschasfen hat, ebensowohl nach
ihrer religiösen Tiefe und siunreichen Symbolik, wie nach den ausdrucksvollen
Gesichtern, den markigen lebensvollen Gestalten, der herrlichen Gewandung, der
überall trefslich angepaßten Stafsage, welche bei weitem die größte Mehrzahl
dieser in der Gaber'schen Anstalt vortrefflich ausgesührten Holzschnitte zeigt, so
ist es in diesen beiden neuesten Lieserungen ein Bild, was mich besonders an-
gesprochen hat. Jch spreche meine Gedanken darüber aus, um dem verehrten
Meister einen kleinen Beleg dafür zu geben, welchen Eindruck seine Bilder auf
kunslsinnige Laien machen. Das Bild, das ich meine, hat die Unterschrist:
Die Ruhe der Freundin unter dem Schutze des Freundes, nach dem Hohenliede
Salomo's, 2, Z—6. Der Künstler hat die Stelle im Sinne der höchsten alle-
gorischen Deutung ausgesaßt: Christus, der Bräutigam, Ler seine Braut, die
Airche beschützt. Obwohl ich deu Auslegern nicht beistimme, welche das Hohe
Lied Salomonis überhaupt als eine prophetische Allegorie des Verhältnisses
Christi zu seiner Kirche deuten, so ist mir doch die Berechtigung des Künstlers
gerade zu dieser Aufsassung unleugbar. Die Jnnigkeit und Erhabenheit in der
Aussührung dieses Gedankens ist ergreisend. Jn der Mitte des Bildes auf
einer Art Stufenthron zwischen zwei von reichem Laub- und Fruchtwerk umgebenen
Säulen sitzt Christus, als König Salomo, im reichgefalteten Gewaude, die rechte
Schulter srei, die linke von einem Mantel umflossen, auf dem Haupte die Krone.
Von dem Haupte geht eine Strahlenglorie aus, wie von der aufgehenden Sonne.
Zu seinen Füßen ruht halb knieend halb liegend an ihn angelehnt, die Braut,
eine köstliche kräftige Gestalt, reichgeschmückt mit Untergewand, goldgestickter
Tunika, golvener Kette und Armspange. Das reiche ausgelöste Haupthaar wallt
herunter sast bis ans Knie. Die Augen sind geschlossen, der Mund halb ge-
öfsnet, schmachtend und träumend, gleich einer sanft Schlummernden. Die Hand
des vollen bis an die Schulter entblösten linken Armes ist aufs Herz gelegt
und scheint mit der goldenen Kette zu spielen; der Hand des in anmuthiger
Nachläßigkeit herunterhangenden rechten Armes entfallen Blumen. Zu ihren
Füßen liegen Aepsel. Der König stützt mit der Linken das liebekranke Haupt,
die Rechte schwebt wie seguend über ihm. Er blickt mit liebevollstem Ausdruck
und doch voll unendlicher Hoheit nach rechts, als wollte er sagen: Seht, wie
glücklich sie ist in meinem Besitz; stört mir die Schlummernde, süß Träumenve
nicht. Links von Ler Hauptgruppe treten aus reichem Gebüsch und Laubwerk
zwei schöue Jungfrauengestalten (von der dritten ist nur das Gesicht zu sehen)
hervor, das Tambourin oder die Adusse schlagend. Jch deute sie aus die trium-
phirende Kirche. Rechts erblickt man in der Nähe eines Thronhimmels als des
Zeichens der königlichen Macht eine Gruppe krästiger, bärtiger Krieger mit
mächtigen, zum Theil entblösten Schwertern, des Königs Leibwache. Jch deute
sie auf die streitende Kirche. Soll ich sagen, was Lenn eigentlich der Charakter
dieses Bildes ist, was ihin eine so mächtige Wirkung verleiht, so scheint es mir
in der Vergeistigung des Siunlichen, Hinaushebung desselben in Lie Sphäre des
höchsten geistigen Lebens zu liegen. Es ist sinnliche Gluth verklärt zu heiliger
Liebe, ganz wie das Hohe Lied selbst, wenn man es als Wechselgesang der
Liebe zwischen Christo und seiner Kirche deutet. So möge denn der verehrte
Künstler diese Zeilen als einen kleinen Tribut der Liebe und Dankbarkeit ansehen,
welchen ihm die christliche Mit- und Nachwelt für seine Darstellungen der heiligen
Geschichte schuldet. Jhr Segen ist unberechenbar. W. A. Lampadius.

Verantwortliche Redaction und Vcrlag von Ebner -d Seubcrt in Stuttgart.
Schnellpressendruck Ler I. E. Spranbel'schen Buchdruckerei daselbch
 
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