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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 4.1861

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https://doi.org/10.11588/diglit.20548#0066
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Werkstatt ist der Meister in die himmlische Heimath abberufen worden, in die
Werkstatt, worin allein der größte Bildner der Schöpfung schafft und wirkt.
Vereint mit all' den seligen ihm vorangegangenen Geistern, die wie er das
göttliche Jdeal im Bilde zu verkörpern strebten, schaut er jetzt die Gottheit
selber in ihrer Klarheit und Wahrheit. Es war ein Erdenleben, auf das der
Heimgegangene ruhig zurückblicken kann. War es auch zu kurz für seine Pläne,
zu kurz fast sür die ganze und volle Entsaltung seines künstlerischen Vermögens,
so war es doch, wie das Leben weniger Künstler, reich an hohen, edlen Zielen
und sittlicher Reinheit, an Segnungen und Erfahrungen, an Freuden und
Leiden, an Mühe und Arbeit, und darum war es schön und groß, so schön
wie wir es allen wünschen, welche die Bahnen der Kunst wandeln. Noch unter
dem schmerzlichen Eindruck seines Hinganges versuchen wir in Folgendem die
Züge oes Mannes, sein Leben und Streben, Wirken und Schaffen zu einem
Bilde zusammenzusassen, denn vor allem ist, wenn ein Mann von Nietschels Ve-
deutung stirbt, die Zeit gekommen, welche uns daran erinnert, daß er lebte.

Neben der Bedeutung Rietschels für die Kunst im Allgemeinen hat er
noch ganz besonders Anspruch auf Beachtung in diesen Blättern und das nicht
nur durch einige Werke, die er im Sinne echt christlicher Kunst schuf, sondern
hauptsächlich auch durch seinen Entwurf des Lutherdenkmals, welcher das Jn-
teresse der gesammten protestantischen Welt auf ihn gelenkt hat.

Die Knabenjahre Rietschels waren hart und traurig — der erste Lebens-
weg des Genius ist selten ein geebneter. Später floß das Leben des Künstlers,
nur der Kunst gewidmet, der er mit wahrhaft priesterlichem Ernst und Eiser
diente, ruhig dahin; nur unterbrochen von einigen Krankheitssallen, in denen
der Tod srüh schon und ziemlich ungestüm an das gebrechliche Gerüste seines
Leibes pochte, nur unterbrochen von einigen Todessällen, die schmerzliche Lücken
in sein Familienleben rissem Ernst Rietschel wurde am 15. December 1804
in Pulsnitz, einem kleinen Städtchen der sächsischen Lausitz, geboren. Früh
schon zeigte sich in dem Knaben, indem er Neujahrs- und Geburtstagswünsche
für seine Mitschüler zeichnete und kolorirte, Ler Trieb zur Kunst. Dennoch
zwangen ihn die dürftigen Verhältnisse seiner Eltern ein bürgerliches Gewerbe
zu ergreisen. Aber je mehr dieser aufgedrungene Beruf mit seiner innersten
künstlerischen Natur contrastirte, um so energischer brach sich sein Genius durch
diese Hindernisse Bahn. Er brachte es dahin, daß er in seinem 16. Jahre die
Dresdener Kunst-Akademie beziehen konnte. Bald wurde sein Fleiß hier durch
vie damals üblichen Geldprämien ausgezeichnet und er selbst, von allen Mitteln
entblößt, dadurch in seinen Studien unterstützt. Man rieth ihm seines schönen
Zeichnens wegen Kupferstecher zu werden, doch erklärte sich Rietschel für die
Plastik und begann seine llebungen im Modelliren beim Hofbildhauer Pettrich.
Die deutsche Kunst hatte damals bereits begonnen, die Fesseln des Barokstils
abzustreifen, und die Morgenröthe einer neuen Epoche stand am Kunsthimmel.
Dresden aber war davon noch unberührt geblieben und die dasige Bildhauerei
lag noch arg darnieder. Rietschel lernte bei Pettrich also nur die nothdürftig-
sten Handwerksgriffe kennen, von einer höhern künstlerischen Ausbildung konnte
nicht die Rede sein. So sich ziemlich selbst überlassen, führte er, ohne von den
 
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