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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 8.1866

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Nro. 5 (1. Mai 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44534#0070
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Unsere künstlerischen Vorfahren machten es umgekehrt; in den kleinsten Raum
brachten sie sowohl, was innere Bedeutsamkeit, als auch äußere Vollendung
betrifft, Allergrößtes. Die zahllosen Miniaturen auf Pergament, die Bücher
der Alten zierend, all die noch vorhandenen Bildchen auf Holz und Metall, welche
Reliquiarien (Ursulakasten in Brügge z. B.), Flügelaltäre u. s. w. ausstatten,
oder als selbstständige Werke bestehen, bekunden dies.
Wohl eines der allergrößten Kunstwerke auf kleinster Dimension ist eben
der Dresdener Gallerte einverleibt worden. Christus am Kreuz von Dürer,
auf dem Kreuzesstamm die Jahreszahl 1500 unter Dürers Monogramm tragend,
ein Holztäflein, etwa 8 Zoll hoch, ward bei der Auktion der Böhm'schen Gallerte
in Wien, namentlich durch die Bemühungen unseres verehrten Gallerie-Directors
Schnorr von Carolsseld, für hier mit der Summe von etwa 3000 Thlr. er-
steigert.
Auf den ersten Blick erkennt man in diesem Christusbilde kaum Dürer
wieder, nicht überstark in Form und Ausdruck, unendlich edel, maßvoll und
doch hinreißend innig. Es ist ein jugendlicherer Christus, als man gewöhnlich
den Gekreuzigten aus Werken dieser Epoche dargestellt sieht, wo die Schmerz-
geberde, die erlittene Marter, das Angestrengtsein aller Sehnen und Muskeln
die Gestalt des Herrn wie entkleidet aller Schöne.
In spätern Werken, namentlich Holzschnitten Dürers, wird uns meist nur
„der Mann der Schmerzen", „das Haupt voll Blut und Wunden" gezeigt.
In diesem Bildchen sind noch Anklänge an die ältere typisch-ideale Anschauung,
das Symbolum des Kreuzes, wie es in uralter Zeit Gottes Sohn lächelnd
darstellt, statt der Dornenkrone einen grünen Kranz ums Haupt, oder sogar die
goldene Krone, und^uns nicht zeigen will, was der ins Fleisch geborne Gottessohn
für uns gelitten, sondern in erster Linie auch am Kreuze uns das Dogma der
Gottheit Christi predigt.
Auf dunkelm — fast Himmelsschwarz — setzt sich licht, ziemlich von Ferne
beleuchtet, das Cruzifix ab; trotz seiner Kleine sogar von Weitem klar und stark
wirkend. Das Haupt hebt sich noch ein Mal, die Augen nach oben gewandt,
' und den geöffneten Lippen entsteigt ihr „Vater, in deine Hände befehle ich
meinen Geist."
Die Zeit des blos Typischen war vorbei; es ging ein Fragen und Suchen
nach der Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen, durch alle Gemüther.
Das bloße Symbolum, das bloß Traditionelle verschwand mehr und mehr und
in individuellster Art und Weise schufen fromme Meister den Erlöser und sein
- Werk malend und meißelnd, wie Prediger ihn anfingen anders zu verkünden
als zuvor.
Wenn in Dürer Christi Leiden, das er immer und immer wieder behandelt,
später anders zur Darstellung gekommen, wie denn jene Zeit bald allenthalben
das Leiden in krassester Weise brachte, so daß das Kunstwerk dadurch beein-
trächtigt ward, so thut Einem gerade an diesem kleinen Bilde der Dresdener
Gallerie das noch festgehaltene Ideal so wohl.
Es ist schwer, ja unmöglich, in diesen Dingen eine Grenze zu bestimmen
(die Freiheit eines Christenmenschen gehört auch dem Künstler), wie weit man
 
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