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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 17.1875

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Nr. 4 (1. April 1875)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42368#0054
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'eingeschnitten nnd zerlegt wurde und daraus cylindrische oder prismatische Stäbe
(rotuli) herauswuchsen, so war damit ein Anlaß zu den mannigfaltigsten Bildungen
gegeben und es boten insbesondere die runden oder rautenförmigen Schilder dieser
Stäbe kleine Flächen zu hervortretenden Verzierungen. Selbst über den Becher
(die euppu) und bis an dessen äußersten Rand erstreckte sich das Ornament, und
-es gibt Kelche, an denen auch nicht ein leeres Plätzchen übrig geblieben ist.
Damit war freilich des Guten bereits zu viel geschehen. Diese reichen Pracht-
kelche von bewunderungswürdiger Arbeit erscheinen leicht schwerfällig und überladen,
das Profil verschwindet unter der Last der aufgelegten Verzierungen und der Kelch
fängt an unschön zu werden, weil er unverkennbar unpraktisch wird. Dafür zwei
Beispiele. Der berühmte Bernwardskelch in Hildesheim, ein Pontificalkelch
von meisterhafter Arbeit, ist abgesehen von dem figuralen Schmuck, auf den wir
später zu sprechen kommen, wie am Rande des Fußes so am Rande des Bechers
so dicht mit Filigranarbeit und gefaßten Edelsteinen besetzt, daß es unmöglich sein
würde, daraus zu trinken, wenn nicht der Künstler diese reiche Einfassung durch
einen Kreisausschnitt unterbrochen und so eine freie Stelle geschaffen hätte, an wel-
cher der Becher zum Mund geführt werden kann. Das ist aber ein unschöner Noth-
behelf. In anderer Weise hat die Spätgothik das Bedürfniß aus den Augen gesetzt.
Es ist als eine Verirrung derselben anerkannt, daß sie die architektonischen Formen
auch auf solche Gegenstände übertragen hat, welche anders behandelt sein wollen.
Wenn dieser Mißgriff in vielen Fällen durch die anzuerkennende Zierlichkeit dieser
Formen verdeckt wird, so springt er dagegen bei dem Kelche in Folge der dadurch
entstandenen, im eigentlichen Sinne des Worts handgreiflichen Unbequemlichkeit in
die Augen. Wer soll einen solchen mit Krabben, Pfeilerchen, Fialen und Spitz-
giebeln besetzten Kelch längere Zeit in den Händen führen? Dessen nicht zu ge-
denken, daß diese freistehenden zarten Spitzen und Zäckchen bei einem in stetem
Gebrauch stehenden Geräth doch gar zu leicht der Beschädigung ausgesetzt sind und
auch die Reinhaltung erschweren. Wir mögen daher solche Prachtkelche als Meister-
stücke der Goldschmiedekunst bewundern, als Vorbilder werden wir sie nicht betrach-
ten dürfen.
Sehen wir nun auf die Art des Ornaments, so finden wir das aus der
Pflanzenwelt entlehnte häufig und mannichfaltig mit viel Glück verwendet (z. B.
sehr schön an einem romanischen Kelche des h. Anno zu Emmerich), zumeist ohne
ersichtlich symbolische Bedeutung. Im Gegentheil kommen Thiergestalten nur
als Symbole, nie zu rein dekorativem Zwecke vor. Ich erinnere mich nur einer
Ausnahme an einem der Marienkirche zu Zwickau zugehörigen Kelche, wo unter
dem Fuße zierliche Eidechschen hervorhuschen. Rein geometrisches Ornament
kommt mehrfach vor, architektonisches nicht minder, früherhin in Verbindung
mit anderem und am rechten Orte verwendet, in spätgothischer Zeit, wie eben be-
merkt, in ziemlich aufdringlicher und sehr unzweckmäßiger Weise. Wir wollen uns
hier ausschließlich mit dem figurale» Ornamente, mit den sogenannten Bilder-
kelchen (ealieos imuginnti), wie sie um deswillen genannt worden sind, be-
schäftigen. Manche von ihnen sind zugleich Schriftkelche (euliees liteimti) und
die auf den Spruchbändern stehenden Schriften (häufig leoninische Verse) enthalten
 
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