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würde, die Kanäle aufzuzeigen, vermittelst deren die Baukunst nicht nur, sondern
auch die Bildnerei und Malerei von der Höhe der Schule ihren Weg in die
Niederungen des Volkes gesunden hat.
In diesem Gedanken hat der Schreiber dieses seine Filialkirche bestärkt.
Zwischen Ansbach und Rothenburg ob/T. liegt im sog. Dragonergrunde das
etwa 150 Seelen zählende Filialdorf Hagenau. Das Kirchlein zu demselben
bietet äußerlich betrachtet wenig Anziehendes. Der kurze, überaus massige Thurm
von fast demselben Umfange wie das Schiff trägt wesentlich dazu bei, dem
Ganzen das Gepräge des Schwerfälligen zu geben. Die Fenster im Thurm
sowie die östliche Thür zeigen den Spitzbogen, die Fenster im Schiff haben
denselben gegen einen modernen flachen Bogen vertauschen müssen. Die Zeit
der Erbauung der Kirche läßt sich nicht feststellen. Nur so viel ist gewiß, daß
bereits im Jahre 1316 die jetzige Filialkirche als Kapelle vorkommt. Das
Innere derselben wird ungemein beeinträchtigt durch die allenthalben angebrachten
Emporen, welche nothwendig wurden, als man die Kapelle zur Filialkirche erhob.
Auch der mit einem schönen Kreuzgewölbe versehene, imThurme befindliche Chor mußte
durch jenes unvermeidliche Kennzeichen protestantischer Kirchen verumstaltet werden.
Unsere Aufmerksamkeit fesseln aber vor allem die Stühle im Chor und im
Schiff der Kirche. Leider sind diese wie jene mit hellbrauner Oelfarbe dick
„übermalt." Die Chorstühle weisen noch Neste „verschwundener Pracht" auf,
die Krabben, Ungethüme, Vögel, männlichen Köpfe, die als Zier reichlich an-
gebracht waren, sind zum Theil stark beschädigt, zum Theil ganz verschwunden,
und verlieren überdies an Wirkung durch die leidige „Uebermalung." So viel
sich durch dieselbe hindurch erkennen läßt, zeichnet sie das Markige, Naive
aus. Die Formen tragen durchaus das Gepräge der älteren reinen Gothik an
sich. Die Stühle im Schiff scheinen uns von besonderem Interesse zu sein.
Der Grundcharakter ist üei allen dreizehn derselbe, nur wird in den dem Mittel-
gange zugcwendeten Aufsätzen das eine Thema aus dreizehnfache Weise variirt.
Vier derselben zeigen als Aufsatz Brustbilder menschlicher Figuren; die nach-
folgende Zeichnung stellt die am meisten charakteristischen dar.*) Bei den übrigen
neun wird der Aufsatz aus gothischen Ornamentstücken gebildet. Die Arbeit ist
hier noch derber und unzierlicher als an den Chorstühlen, doch wird man ihr
Originalität und Frische nicht absprechen können. Wir finden dabei das Klee-
blatt der Gothik verwandt, aber wie ungesüg, wie wenig stylisirt erscheint es!
Es kommt einem unwillkürlich der Gedanke: das ist Arbeit, die aus der Werk-
statt des Dorfschreiners, freilich nicht heutigen Schlags, hervorgegangcn und für
derbe Bauernnaturen berechnet und geeignet ist.
Aeltere Männer des Dorfes erzählten mir, es seien in ihrer Jugend, etwa
in der Mitte der zwanziger und dreißiger Jahre, noch viele Holzschnitzarbeiten
auf dem Dachboden der Kirche aufbewahrt gewesen, z. B. eine lebensgroße
Maria mit dem Kinde, die zwölf Apostel, eine Gruppe: Petrus und Johannes

Der Mann scheint einen Reisestab (oder gar eine Flöte?), die Frau Krug uud Glas
zu einem Labetrunk in den Händen zu haben.
 
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