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rings herumgieng. Wer so beherzt war, der konnte ja wohl anch nut
dein „Papst und seinen Schuppen," wie Luther, den Kampf ausnehmen.
Der Wiener Stesansdoin und seine Sehenswürdigkeiten in Geschichte, Kunst, Legenden
und Sagengeschichte. Vom Verfasser der Geschichte der Wiener Stadt und
Vorstädte. Mit 31 Illustrationen. Wien, Pest, Leipzig. A. Hartlebens
Verlag. 1878. Preis 1 st. österr.
Dieses Schriftchen hat nicht sowohl eine kunstwissenschaftliche, als eine volks-
thümliche Bedeutung. Was die Forschung der Kunstgelehrten zu Tage gefördert
hat, ist mitgetheilt und so gut als es bei der Anlage und dem Zwecke des
Büchleins möglich ist, beschrieben, auch durch Holzschnitte veranschaulicht, welche
immerhin dem Kenner des Stefansdomes zur Erinnerung dienen können. An-
ziehend, lehrreich und unterhaltend wird das Büchlein durch die Einflechtung
der vielen geschichtlichen Bezüge, Legenden und Sagen, welche sich an den ehr-
würdigen Zeugen so manchfacher Geschicke der Stadt und des Landes, an den
religiösen, künstlerischen und poetischen Mittelpunkt der Kaiserstadt knüpfen.
Unter den Erzählungen und Deutungen ist zwar manches sehr Fragliche; aber
man liest es doch mit Interesse, und der gewaltige Dom und Thurm belebt
sich durch eine Fülle von Scherz und Ernst, von tragischen und heitern Ge-
schichten. Zu den ersten gehört die Erzählung von dem Sohne des Johannes von
Schwaben, des Parricida, der nach der Ermordung seines Oheims Albrecht I.
lange in den Wäldern herumgeirrt war, dort mit einem jungen Weibe einen
Sohn erzeugt hat und in Pisa 1313 gestorben ist. Dieser Sohn, Lothar ge-
nannt, sei gewöhnlich vor dem „Niesenthor" des Stefansdomes bettelnd gesessen
und habe als alter blinder Mann in einer von ihm selbst verfertigten Hütte
auf dem Neuen Markte Almosen gesammelt. — Der letzte merkwürdige Bettler
des Niescnthores hat im Jahr 1864 in einer Branntweinschenke mit seinen
Kollegen sein hundertjähriges Betteljubiläum gefeiert. Er war 1764 vor dem
Niesenthor von einer Bettlerin geboren, erhielt in der Taufe den Namen Stefan
und blieb lahm bis zum Tode. — Merkwürdig ist, daß man 1551 den Stcfans-
dom vor dem Blitze schützen wollte, indem man auf jede seiner acht Spitzen ein
Hirschgeweih steckte, wie man sich vor Erfindung des Blitzableiters solcher Ge-
weihe zu diesem Zwecke aus dem Grunde bedient hat, weil es unerhört sei, daß
der Blitz einen Hirsch erschlagen hätte. Die Annagelung von Hirschgeweihen
an einsam stehenden Jagdgebäuden habe auch ursprünglich nur jenen Zweck ge-
habt. — Tragisch ist die Erzählung von dem Gärtner Gabriel Salzberger,
welcher beim Einzug des neuerwählten römischen Kaisers Leopold I. auf den
Knops des Thurmes stieg und dort eine Riesensahne schwenkte, aber im Lärm
des Einzugs vergessen keine Hilfe zum Hcrabsteigen sand, die ganze Nacht
droben bleiben mußte, bis mau andern Tags ihn bemerkte und hcrabgeleitete.
Seine dunkeln Haare waren über Nacht ganz grau geworden. — Heiter ist
die Geschichte der „Dienstboben-Muttergottes," eines Marienbildes, welchem, als
nur für Adelige bestimmt, eine reiche Gräfin vor zweihundert Jahren nicht er-
tauben wollte, eine arme falschverklagte Magd in ihrer Noth zu erhören, und
 
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