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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 21.1879

DOI issue:
Nr. 11 (1. November 1879)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42372#0174
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straffer, gesammelter Kraft, die Gewandung nachlässig über die Kniee geworfen, auf
niedrigen: Sessel ruht? der Oberkörper ist eingezogen, der linke Fuß ein wenig
nach hinten gesetzt, als wollte er zum Anfspringen sich rüsten; aber noch ist der
Moment nicht gekommen. Die Brust und die Schultern deckt ein römisch ge-
haltener Panzer, die Arme sind nackt. Und welche Arme! Schonungsloses
Zerschmettern droht jede Muskel an diesen furchtbaren Gliedern. Und die
Hände! Die Rechte legt sich auf den Rand zweier Steintafeln, auf welche
der ganze rechte Arm leicht gebeugt sich stützt; die Finger aber greifen
spielend hinein in einen strotzend herniederwallenden Riesenbart, in dessen
unterstes Ende auch die Finger der linken Hand krampfhaft sich vertiefen. Und
an diesem Bart steig' hinauf iu die Höhe zu dem Löweukopf, der ihn trägt.
Hoch reckt sich der Hals, leicht nach hinten gebogen; unverwandt ist das Auge
auf Eine Stelle in der Ferne gerichtet, und verzehrende Blitze schlendert der
Blick, Unheil brütet die trotzige, kurze, stierartige Stirn — und wie zwei Hörner
bricht's hervor am Vorderkopf! nicht lichte Strahlen, aus dem Verkehr mit dem
unsichtbaren Gott geboren: nein, vernichtende, stoßende, bohrende Kraft! Und
der schwellende Mund! die zornig aufgeworfene, weit vorgestreckte Unterlippe!
Wir zittern, wenn der sich erhebt. Wir suchen Schutz vor der zermalmenden
Allgewalt dieser Erscheinung."
Damit wollen wir nur einladen, den Redner selbst zu hören, wie er Michel-,
angelo in seinem Ringen und Drängen, in seinem tiefen Wahrheitsgefühl, in
seinem Glauben an die Realität der jenseitigen geistigen Welt „dem selbst-
genügsamen, allermeist in süßer Verklärung des Diesseits triumphirenden und
feiernden, durch und durch katholische:: Rafael" gegenüberstellt, als denjenigen, in
welchen: sich ein Pulsschlag der protestantischen Ader fühlbar macht. In den
späteren Werken des Mannes, der in seiner Jugend dem idealen Platonismus
gehuldigt, der iu: Jünglingsalter für Savonarola geschwärmt hatte, und als
Mann nut Vittoria Colonna den Geistesschwingnngen reformatorischer Gedanken
nicht fern geblieben war, sieht der Verfasser etwas von den: Herben, Gewalt-
samen, Zurückschreckenden, das den Führern der Gegenreformation so sympathisch
war. „In dieser Zeit ist auch die dominirende, den römisch-päpstlichen Geist
versinnbildende Peterskuppel entstanden. Daß aber iu der Brust des Künstlers,
„der mit seinen Werken der päpstlichen Allgewalt huldigte, dennoch die Anklänge
der reformatorischen Heilsgedanken nicht verstummt waren," das beweisen wohl
die Gedichte, in welchen der alternde Künstler mit erschütterndem Ernst seine
Seelennoth klagt und nur um Gnade und neuen Glauben an dieselbe fleht.
Z. B. in dem Sonett, das also schließt:
„Mein Leben seht nicht an in voller Strenge,
Ihr heil'gen Angen! Und dein Arm — er räche,
O Herr, nicht das, was deinem Ohr ein Granen!
Nein, wasch ab, o Blnt, der Sünden Menge!
Je ärmer ich durch Alter bin nnd Schwäche,
Je reicher laß mir deine Gnade thanen!
 
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