Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
137

Kinder über Stufen zu Jesus hinauszieht, das zu ihm Kommen und Bringen recht
anschaulich zu machen. Die Art, wie die Frauen und besonders die Kinder die
Stufen ersteigen, bringt die reizendsten Motive mit sich. Weiter aber begnügt
sich Jelin nicht mit der einfachen Darstellung des Segnens; eine solche giebt
wohl Gelegenheit, die milde Heilandsgestalt in einer lieblichen Gebärde vorzuführen,
aber viel Gehalt läßt sich in sie nicht hineinlegen. Jelin greift tiefer; er stellt
beides dar, wie Jesus die Kinder segnet und herzt und auch wie er die Jünger
zurechtweist. Es ist klar, wie viel die Seene dadurch an Interesse und Leben
gewinnt. Sonst sehen wir einen einfachen Vorgang, aus diese Weise den drama-
tischen Moment, wie ein Vorgang den andern ablöst, beide werden dadurch
deutlich, und wir verstehen die in ihnen sich abspielende Geschichte. Und zu-
gleich ergiebt sich dadurch eine ungemeine Vertiefung des Gehalts der Christus-
figur. Die Mittel der Malerei als wortloser Kunst, um etwas Inneres aus-
zudrücken, sind viel beschränkter, als wir gewöhnlich denken. Wer ist es, der die
Kinder segnet? Wird einfach der Vorgang der Kindersegnung gemalt, so mag
der Maler in Jesu Gestalt eine milde Hoheit hineinlegen, als Heiland und Herrn
wird er ihn doch nur charakterisieren können durch die traditionellen symbolischen
Zeichen (Nimbus u. s. w.). Ganz anders in unserer Komposition. Derselbe,
der hoheitsvoll die Jünger zurechtweist, daß sie vor ihm verstummen, neigt sich
freundlich und sanftmütig den Unmündigen zu, um sie zu segnen; durch das eine
erscheint er als Meister und Herr, durch das andere als Heiland. Da-
durch, daß er auf unserem Bilde beides zugleich ist, ist es dem Künstler gelungen,
den ganzen Jesus Christus vor unsere Augen zu malen. Diese Vorzüge der
Komposition wiegen weit auf, was dem Beschauer etwa an Gestalten und Gesichts-
bildungen befremdlich erscheinen will, weil es einen Kompromiß darstellt zwischen
gotischem Stil und modernem Empfinden.
In Summa kann man den Künstlern, Architekt Frey und Maler Jelin
sowohl als dem Kirchengemeinderat nur Glück wünschen zu dem neuen Gewand,
das die alte Stuttgarter Stiftskirche angezogen hat. Möge es in seinem Teil
mitwirken zur Erbauung der Gemeinde und Nachahmung finden an manchen Orten.
I. M.
 
Annotationen