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zu geben, was das Auge gesehen. Aber freilich, ob sie die wahre Natur ge-
sehen und ob sie sie groß gesehen, wie Goethe es von Michel-Angelo sagt, —
darüber wollen wir uns auch den heutigen Künstlern gegenüber unser Urteil Vor-
behalten. I. M.
Rubens und Rembrandt.
Eine vergleichende Künstler-Studie von vr. Friedrich Haack.
Die niederländische Kunst, welche im 17. Jahrhundert ihren höchsten Gipfel
erreicht, spricht sich am bedeutendsten für jene Zeit und damit für alle Zeiten
in dem eigenartigen Schaffen der beiden sich scharf von einander unterscheidenden
Künstler-Persönlichkeiten Rubens und Rembrandt aus.
Rubens war Vlaame. Farbenreichtum ist der herrschende Charakterzug der
belgischen Landschaft, Fruchtbarkeit derjenige des belgischen Landes. Auf einem
solchen Boden wuchs die kraftstrotzende Kunst des Rubens heran, an einer solchen
Landschaft übte er von Jugend auf sein künstlerisches Leben, und auf dieser Grund-
lage fußend schuf er seine eminent koloristischen Werke.
In Holland und besonders in der Provinz Südholland ist der Boden
niedrig, naß, zum Teil moorig und das Klima feucht, veränderlich. Daraus
folgen die zarten Luft- und Lichtstimmungen, welche den letzten Urgrund der
holländischen und besonders der Rembrandt'schen Stimmungsmalerei bilden. In
der Provinz Südholland liegt sowohl Leyden, wo dieser Künstler aufwuchs, als
auch Amsterdam, in welcher Stadt er den größten Teil seines Lebens verbrachte.
Die Kenntnis von Klima und Landschaft dieser Gegenden giebt uns ein vorzüg-
liches Mittel an die Hand, um seine Werke zu verstehen.
Belgien grenzt im Süden an Frankreich. Es besteht daher schon ein
äußerer Zusammenhang jenes Landes mit der romanischen Welt. Der belgische
Volkscharakter beruht auf einer eigentümlichen Mischung von germanischen und
romanischen Elementen, allerdings so, daß die ersteren vorwalten. Der Belgier
verbindet deutsche Innerlichkeit mit romanischer Freude an Glanz und Pracht
des äußeren Lebens, germanische Gediegenheit mit romanischer Eleganz. Beide
Faktoren haben entschieden mitgewirkt, die weltmännisch vollendete Persönlichkeit
des Rubens zu ergeben. — Bei seiner künstlerischen Erziehung stellt sein Lehrer
Otto Vaenius in gewissem Sinne das romanische, Adam van Noort durchaus
das germanische Prinzip dar.
Hollands Ostgrenze fällt mit der Nordwestgrenze Deutschlands zusammen.
Wer aus der Gegend der Stadt Wesel rheinabwärts wandert und den nieder-
ländischen Boden betritt, kann sich — soweit er mit dem heimischen Platt ver-
traut ist — mit dem nächstbesten Eingeborenen, der ihm begegnet, ohne Schwierig-
keiten in ein Gespräch einlassen. — Der Holländer ist seinem innersten Empfinden
nach ein Deutscher. Der Charakter dieses Volkes ist sogar für deutsches Wesen
bezeichnender, als derjenige manches Stammes, der innerhalb der schwarzweiß-
roten Grenzpfähle lebt. So erklärt es sich, daß von allen Künstlern nächst
Dürer Rembrandt die deutsche Eigenart am entschiedensten ausspricht. Hat man
ja sogar in allerjüngster Zeit den Versuch gemacht, „Rembrandt als Erzieher"
zu geben, was das Auge gesehen. Aber freilich, ob sie die wahre Natur ge-
sehen und ob sie sie groß gesehen, wie Goethe es von Michel-Angelo sagt, —
darüber wollen wir uns auch den heutigen Künstlern gegenüber unser Urteil Vor-
behalten. I. M.
Rubens und Rembrandt.
Eine vergleichende Künstler-Studie von vr. Friedrich Haack.
Die niederländische Kunst, welche im 17. Jahrhundert ihren höchsten Gipfel
erreicht, spricht sich am bedeutendsten für jene Zeit und damit für alle Zeiten
in dem eigenartigen Schaffen der beiden sich scharf von einander unterscheidenden
Künstler-Persönlichkeiten Rubens und Rembrandt aus.
Rubens war Vlaame. Farbenreichtum ist der herrschende Charakterzug der
belgischen Landschaft, Fruchtbarkeit derjenige des belgischen Landes. Auf einem
solchen Boden wuchs die kraftstrotzende Kunst des Rubens heran, an einer solchen
Landschaft übte er von Jugend auf sein künstlerisches Leben, und auf dieser Grund-
lage fußend schuf er seine eminent koloristischen Werke.
In Holland und besonders in der Provinz Südholland ist der Boden
niedrig, naß, zum Teil moorig und das Klima feucht, veränderlich. Daraus
folgen die zarten Luft- und Lichtstimmungen, welche den letzten Urgrund der
holländischen und besonders der Rembrandt'schen Stimmungsmalerei bilden. In
der Provinz Südholland liegt sowohl Leyden, wo dieser Künstler aufwuchs, als
auch Amsterdam, in welcher Stadt er den größten Teil seines Lebens verbrachte.
Die Kenntnis von Klima und Landschaft dieser Gegenden giebt uns ein vorzüg-
liches Mittel an die Hand, um seine Werke zu verstehen.
Belgien grenzt im Süden an Frankreich. Es besteht daher schon ein
äußerer Zusammenhang jenes Landes mit der romanischen Welt. Der belgische
Volkscharakter beruht auf einer eigentümlichen Mischung von germanischen und
romanischen Elementen, allerdings so, daß die ersteren vorwalten. Der Belgier
verbindet deutsche Innerlichkeit mit romanischer Freude an Glanz und Pracht
des äußeren Lebens, germanische Gediegenheit mit romanischer Eleganz. Beide
Faktoren haben entschieden mitgewirkt, die weltmännisch vollendete Persönlichkeit
des Rubens zu ergeben. — Bei seiner künstlerischen Erziehung stellt sein Lehrer
Otto Vaenius in gewissem Sinne das romanische, Adam van Noort durchaus
das germanische Prinzip dar.
Hollands Ostgrenze fällt mit der Nordwestgrenze Deutschlands zusammen.
Wer aus der Gegend der Stadt Wesel rheinabwärts wandert und den nieder-
ländischen Boden betritt, kann sich — soweit er mit dem heimischen Platt ver-
traut ist — mit dem nächstbesten Eingeborenen, der ihm begegnet, ohne Schwierig-
keiten in ein Gespräch einlassen. — Der Holländer ist seinem innersten Empfinden
nach ein Deutscher. Der Charakter dieses Volkes ist sogar für deutsches Wesen
bezeichnender, als derjenige manches Stammes, der innerhalb der schwarzweiß-
roten Grenzpfähle lebt. So erklärt es sich, daß von allen Künstlern nächst
Dürer Rembrandt die deutsche Eigenart am entschiedensten ausspricht. Hat man
ja sogar in allerjüngster Zeit den Versuch gemacht, „Rembrandt als Erzieher"