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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 51.1909

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Nr. 10 (Oktober 1909)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44121#0343
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ist nichts anderes als Äußerung von Gefühlen und Empfindungen, und die
Bilder sind in gewissem Sinn auch Worte. — — Ich habe mich immer
wieder in das Evangelium vertieft; so wie ich es gelesen habe, besteht
es wohl nicht vor der Kritik. Aber immer wieder ist es mir neu und lieb
geworden, und ich habe gefunden, wie schön es ist, ein Kunstwerk für
alle Zeiten. Aber nicht bloß das Evangelium, die ganze Religion ist eine
Art Kunstwerk.
Im Lauf der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob Rembrandts
Leben auch vor der Religion bestehen, und wie sein Wandel mit seinen
religiösen Bildern in Einklang gebracht werden könne. Darauf erwiderte der
greise Künstler in seiner kernigen Art: Wenn ein Sünder gute Bilder malt,
so sind sie auch fromm, und wir wollen dafür herzlich dankbar sein. Und
wenn fromme Leute schlechte Bilder malen, so sind sie deshalb noch nicht
gut und auch nicht fromm. Als ich ihm nach fast einem Jahr die ge-
liehenen Bilder, unter denen auch von ihm selbst farbig getönte Stein-
drucke waren, wieder zurückbrachte, traf ich den Meister in seinem Atelier.
Und nun durfte ich auch außer früheren Studien seine angefangenen Werke
sehen und einen Blick hineintun in die Vielseitigkeit und Sicherheit seiner
Technik sowie in seine künstlerischen Pläne. Der große, mehrbildrige Zyklus
der Weihnachtsgeschichte war im Jahr vorher fertig geworden. Er arbeitete
gerade an dem Osterzyklus und entwarf im Geist schon einen entsprechenden
Pfingstzyklus, in welchem die Gründung und Ausbreitung oder wie er näher
sagte, die Entfaltung und Betätigung des heiligen Geistes zur Darstellung
kommen solle. — Ich staunte nicht bloß über das physische und technische
Können, sondern auch über den Glauben und den moralischen Mut des
Meisters, der in seinem hohen Alter sich noch an diese Riesenaufgabe
religiöser Monumentalmalerei heranmacht.
Als auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß 1907 in Straßburg über
das Thema „Bekämpfung der Unsittlichkeit insbesondere mit Bezug auf die
Jugend" lang und ernst verhandelt wurde, erschien auch Hans Thoma bei
der Diskussion, bei der auch die Kunst öfter berührt wurde, auf der Tribüne
und entwickelte, erfrischend für die unter den Prinzipiendebatten ermüdeten
Hörer, seine Auffassung über die Reinheit jeder wahren Kunst, über den
Unterschied von Akten, die aus'dem Drange des Künstlers und für Künstler-
zwecke entstehen, und den photographierten sogenannten „Künstlerakten".
Diese seien unter die obszönen Bilder und Karten zu rechnen und der Polizei
zu unterstellen. Er hielt die Gefahr, die von der Nacktmalerei der Kunst aus-
gehe, auch wenn sie zu unreinen Zwecken verwendet werde, für nicht so groß,
als die unsrer gesamten heutigen Lebensrichtung. „Sich etwas versagen
können, muß schon in der Kindheit gelernt werden, das ist ein Haupt-
erziehungsmittel. Und unsere Pflicht ist auch der Kampf gegen die Prüderie,
die selber schon ein Zeichen und die Quelle verseuchter Phantasie ist."
Und nun noch einige Aussprüche Thomas aus dem trefflichen und
genußreichen Buche „Im Herbste des Lebens", den vom Meister selbst
 
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