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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 52.1910

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Nr. 11 (November 1910)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44120#0358
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etwas Snymboliſches, ſo „Der Kampf“. Ihre große beruhigende Landſchaft läßt
ſchon den Zeichner der ,Gleichniſse“ ahnen.

Burnand ist nie so sehr Naturaliſt, daß er auf Gedankengänge verzichten
könnte. Seiner Seele iſt alles Große in Natur, Kunſt und Geschichte offen.
1876 und 1877 begeiſtert er sich in Rom an Raffaels Stanzen. Sie erscheinen
ihm das Höchſte an Ausdruck von Religion und Schönheit in einer Harmonie.
1878 verheiratet sich Burnand mit der kunſtbegabten Tochter des berühmten
Pariſer Kupferstechers Paul Girardet. Die Gattin iſt die Genossin ſeiner Kunſt.
Die zahlreiche Familie das Glück ſeines Lebens. Die alljährliche Wanderung von
Moudons Obstgärten auf den einſamen Höhen zwiſchen Neuchâtel und Genfer
See + nach den Paradiesauen der Provence + und vom alten Schlößchen Font-
froide in den Gefilden am Montpellier ~ in das Atelier zu Paris > diese jährliche
Wanderung + immer der Sonne nach + und wenn die Sonne wintert, dann dem
Geiſte und dem Menſschenverkehr nach + das iſt Burnands Lebensglück. Burnand
ſcheint ein Sonntagskind zu sein. Was ein anderer hoffnungslos träumt, hat
ihm das Glück spielend in die Hand gereicht.

Dieſes Leben zwischen drei Daseinsformen ſpricht ſich auch in Burnands
Kunst aus. Das zeugt für die Ehrlichkeit seiner Kunst, daß er als ernster Wirk-
lichkeitsſucher nur malen kann, was in ihm und um ihn iſt. Burnands Schweizer-
Bilder preiſen die glänzenden klarſchimmernden Berghöhen, die grünen Matten,
die ſchweigenden Wälder, die behaglichen Kühe und starken Stiere, die biederen
Älpler. Es ist Segantini, aber nicht ſeine Erdſchwere, ſondern Pleinair in leicht-
duftigem Lichtgewebe. ~ Anders wieder als über die Alpenwelt gehen die Stim-
mungen und das Malerauge über die Erdpracht der Provence. Sage und Sang
der Provenzalen steigt aus der ſüdlichen Landschaft. Miréio, die Reine, zieht
durch die einſame Schönheit, die Männer kämpfen wie Riesen im Dämmer >
und Einer, der über ein ähnlich ſchönes Gefild zog, + am Galiläiſchen Meer >
ſteigt aus der Campagna auf und breitet die Arme aus. Und die Menſchheit,
verloren, glückſuchend, heimwehkrank + wirft sich ihm zu Füßen. So sieht
Burnand Bilder, wie eines davon „Der verlorene Sohn“ iſt.

Und Burnands bewegliche Phantaſie ändert mit dem Bilde auch die Art
zu malen. Aller Künste Meister, keiner Schule zugeſchworen ~ nur mit dem
Grundsatz : „immer wahr“ ~ malt, radiert und zeichnet er ſo, wie bei ihm
Stimmung und Anschauung ſich decken.

®Burnands Entwicklung beginnt im Waadtland. Vom Anfang verbindet er
Landschaft und Leute in seinen Bildern wie den „Ährenleserinnen“, den , Spinne-
rinnen" (1875). Das erste religiöſse Bild haben wir im Jahre 1876.

„Meinen Frieden gebe ich euch". Mit dieſem Interieurbild hat Burnand
ſchon am Anfang seiner Laufbahn, 1876, ſich als Sohn der reformierten Kirche
gekennzeichnet, in deſſen Religion das geiſtige Wort die führende Rolle hat.
Meiſterhaft iſt der Gegensatz zwiſchen der öden Dorfkirche und der Lichtfülle,
die um die Hörer und auf den Gesichtern webt, die eine leiſe Sprache davon
ſpricht, daß Denken Gottesdienst iſt. Das hebt das Genrebild von alten Tagen
über die Anekdote weit hinaus.
 
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