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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 55.1913

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Nr. 3 (März 1913)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44561#0095
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Christliches Kunstblatt für Kirche, Zchule und Haus

Nr. 3

Tätigkeit: Menschen fischen, von seinen Ufern pflückte er die schönen Gleichnisse,
nicht um seine Rede zu schmücken, nein: um himmlische Lehren klar und faßlich
und unvergeßlich zu machen, um ewige Wahrheiten in irdischem Zinnbild den
armen Erdenmenschen mitzuteilen. Vie Vöglein, die auf seinen wassern sich er-
götzten und hin und wieder ans Ufer flogen, um Uörner vom Wege zu picken,
die der Hand des Sämanns entfallen waren, der wurzelschwache Halm auf felsigem
Boden, den die Glut der Sonne abdorrte, der Dornstrauch am steinigen Gestade,
die herrlichen Erntefluren, die dreißig- und sechzig- und hundertfältig die Arbeit
des Landmannes lohnten, die Lilien des Feldes in ihrer mehr als salomonischen
Pracht, die mächtigen Stauden des Senfbaumes, deren Schatten die Vögel auf-
suchten, um sich gegen die Mittagshitze zu schützen, die Netze der Fischer, die
Stadt dort hoch oben am Berge, die heute noch herabglänzt über den See (Safed),
das Licht in der dunkeln Hütte des Fischers - alles das nahm er herein in
seine predigt, all das wird ihm zum Gleichnis des Reiches Gottes. Vie Edelsten
des Fischervölkleins, das an diesem See, fern den gelehrten Zänkereien und den
politischen Intrigen, in Gottesfurcht und Arbeitsamkeit lebte, berief er zum Dienste
des Evangeliums, und diese Fischer vom See Genezareth find. furchtlos hinaus-
gesteuert ins weite Meer der Welt und haben Menschen gefischt, Hunderte, Tausende,
Unzählige, und ihr Name wird noch nach neunzehn Jahrhunderten im Segen
genannt auf der ganzen Erde, hier an diesen Ufern hat der Messias das Reich
Gottes aufgerichtet, und dieser Nlpensee, dieses liebliche Eiland, die erste Heimat
des Ehristentums, dieses Paradies des zweiten Ndam, in dem der Logos zeltete
unter den Menschenkindern (Soh. 1, 14), ist selbst zum schönsten Gleichnis, zum
sprechenden Abbilds des neuen Reiches der Gnade geworden und trägt noch heute
dessen wesentliche Tharakterzüge an sich: weltentrückt und weltverloren, einsam
und in sich gekehrt, und doch mitten in der Welt und in voller Verbindung
mit ihr, friedlich und lieblich ohnegleichen und dabei doch ernst und groß und
streng, für gewöhnlich die Ruhe und Stille selbst — auch der rauschende Jordan
muß schweigen lernen, ehe er ins Tal dieses Gottesfriedens herein darf - , aber
zu Zeiten auch voll wilder Stürme und voll tosenden Rumpfes, zart verbindend
und schroff scheidend, anziehend und abstoßend, abgeschlossen und aufgeschlossen
nach oben und nach außen. Der Berg Sinai das Charakterbild des Alten Bundes,
der See Genezareth das Abbild des Neuen Lundes der Gnade und Versöhnung.
heiliger See des Herrn! nie im Leben werde ich die Osterabendfeier ver-
vergessen, mit der du unfern Ruhetag an deinen Gestaden glanzvoll und ergreifend
abschließest. Vie Sonne schneidet mit ihrer Flammenbahn die Linie des Horizonts-
auf dem starken Rücken der Berge scheint sie einen Augenblick zu rasten und
sendet aus weit geöffnetem Auge dem See den letzten Scheideblick und Abschieds-
gruß. Dann sinkt sie hinab, und mit geschäftigen Händen breitet die Abendröte
eilig ihre goldenen Netze über die Berge und Hügel und kleidet gerade die be-
sonders herrlich, denen der Schoß der Erde ein farbreicheres Gewand und den
grünen Samt versagt, die im grellen Lichte des Tages wie arme, hungernde
 
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