Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

DOI issue:
5. Heft
DOI article:
Kern, Guido Josef: Zur Berliner Pieta Böcklins
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0172
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
158

Der Cicerone

Heft 5

interessante Farbenstudie hinzugesellt. Sie wurde durch den Inhaber der Berliner
Kunsthandlung E. Zaeslein in Münchener Privatbesitz entdeckt. Die Studie ist in Öl
auf Leinwand gemalt; sie mißt 30 cm Höhe und 40 cm Breite. Wie die Schwester
der ehemaligen Besitzerin1 2) mitteilt, erhielt jene das Werk im Hause Faber du Faurs
1873 oder 1874 von Böcklin selbst zum Geschenk. Im allgemeinen stimmt die Kompo-
sition mit der Anlage des Bildes überein. Nur in einem Punkte weicht sie bedeutsam
von ihr ab. Er betrifft die Geste des Engels. Im Bilde breitet der Engel, wie segnend,
seine Hand über die Madonna aus, in der Studie sucht er mit der aus-
gestreckten Hand ihr Haupt zu berühren. In beiden Fällen ist die Hand über-
malt. Die Studie weist sodann einen schmalen übermalten Streifen auf,3) der sich
von der Hand aus nach rechts in das Bildfeld erstreckt. Er besitzt ungefähr die Form
eines gebogenen Palmzweiges. Das „Symbol des Trostes“, von dem in dem Briefe
Böcklins an Jordan (s. unten) die Rede ist, taucht hier unter der Übermalung auf. Von
geringeren Unterschieden heben wir hervor: Die Verschiedenheit in der Lage der rechten
Hand und des rechten Fußes des Heilandes, der Haarbehandlung bei Maria und der
Form des über die Leiche fallenden Gewandzipfels. Die koloristischen Unterschiede
zwischen Studie und Bild sind zugunsten der Studie recht erheblich. Ihre Farben be-
sitzen eine Durchsichtigkeit und Leuchtkraft wie Email und ergänzen sich in harmonischer
Weise. Ein bernsteinartiges in Violett übergehendes Goldbraun3) vermittelt den Über-
gang zwischen der oberen und unteren Partie der Studie. Das Bild zeigt an ent-
sprechender Stelle ein stumpfes mit Grau gemischtes Violett. Vom goldenen Hinter-
gründe, in dessen Glanz sich die Körper der Putten wie Nebel im Sonnenlicht auflösen,
leuchtet ein glühendes Purpurrot aus dem Mantel Gabriels. Es strahlt, wie in sanftem
Reflex, aus Rosen vom Hintergründe bläulichen Marmors zurück. Mit dem tiefen
satten Blau des abendlichen Himmels klingt das Dunkelgrün des Gewandes Mariae —
ihr Mantel im Bilde ist dunkelblau — zu einem rauschenden Akkord zusammen. Die
koloristische Einheit wird in ihrer Wirkung durch den einheitlichen Farbenauftrag
der Studie wesentlich verstärkt. Sie ist mit Ausnahme der Hand und einiger
Lichter naß in naß gemalt, während das Bild dreimal zur Hälfte, in einzelnen Par-
tien noch öfter übermalt wurde. Lassen sich farbige Übergänge, wie sie das all prima-
Verfahren mit sich bringt, durch nichts ersetzen, so wird die wiederholte Übermalung4)
des Bildes, bei einer wenig glücklichen Farbenwahl, als doppelt störend emp-
funden.

Die Entstehungszeit der Studie läßt sich annähernd aus den Angaben der früheren
Besitzerin ermitteln. Das Jahr der Übergabe des Bildes durch Böcklin an die Dame,
1873 oder 1874, bildet die obere Zeitgrenze, eine untere dürfte im Jahre 1868 als
dem Entstehungsjahr des Baseler Bildes angenommen werden.

>) Die Namen können aus naheliegenden Gründen nicht mitgeteilt werden.

2) Er ist deutlich bei scharfer seitlicher Beleuchtung der Studie wahrzunehmen.

3) Man beachte, wie die „Kohle auf blauem Papier, die bräunlich-violett darauf aus-
sieht“ (s. oben), noch die Farbe dieser Ölstudie beeinflußt hat!

4) Die zahlreichen Risse in den hellen pastös gemalten Partieen der Wolken sind u. a.
darauf zurückzuführen.
 
Annotationen