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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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3. Heft
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Bode, Wilhelm von: Die Berliner Museen und die amerikanische Konkurrenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0106
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DIE BERLINER MUSEEN UND DIE AMERIKANISCHE KONKURRENZ

hatte, nicht unseren Mufeen, fondern der Londoner Galerie zu vermachen. Wer das Glück
gehabt hat, durch Jahrzehnte mit den erften englifchen Kunftfreunden und Sammlungsvor-
ftänden, mit Männern wie Sir William Boxall, Sir Wolverton Franks, George Sharf,
J. P. Hejeltine, George Salting u. a. in naher Beziehung zu ftehen und von ihnen zu
lernen, der wird fchon aus Dankbarkeit jeden Anlaß vermeiden, die bedauerliche und
unnatürliche Entfremdung der englifchen Nation von uns Deutfchen feinerfeits irgendwie
zu vergrößern, felbft wenn er von jüngeren Kollegen, wie es mir jeijt ergeht, wahrlich
nicht als Freund behandelt wird.

Doch ganz abgefehen von diefer Anftandsfrage wäre für unfere Mufeen der Ankauf
jener Bilder ganz unmöglich gewefen. Auch die National Gallery hatte fie abgelehnt, weil
ihre Mittel nicht ausreichten, und nur aus privaten Beiträgen konnten fie für die Lon-
doner Galerie gerettet werden. Will Herr Harden wirklich pofitive Kultur- und Kunftpolitik
treiben, fo möge er das deutfche Publikum dahin bringen, daß es — wie es in Amerika
gefchieht und wie es z. T. auch in England und felbft in Frankreich der Fall ift — dem
Staate bei der Ausübung diefer feiner Aufgaben nicht nur zuhilfe kommt, fondern ihm
einen Teil diefer Pflichten abnimmt, daß unfere reichen Kunftfreunde den Mufeen nicht
bloß helfen, um diefen oder jenen ihnen naheftehenden Direktor eine Freude zu machen,
fondern daß fie an ihrer Förderung die eigenfte Freude haben, mit dem Staate zu wett-
eifern und ihm zuvorzukommen fuchen. Auch England hat uns darin ein glänzendes
Vorbild gegeben: für jene beiden Bilder von Holbein und Velazquez find, kurz nach
einander, von wenigen Kunftfreunden zwei und eine halbe Million beigefteuert worden.
Und die, Kunftwerke, die vor wenigen Wochen gleichzeitig den Londoner Mufeen von
George Salting und Ludwig Mond hinterlaffen worden find, haben einen Wert von nahezu
hundert Millionen M. Trotzdem tut auch der Staat in England noch wefentlich mehr als bei
uns. Die National Gallery hat für Ankäufe einen jährlichen Etat von 200000 M., dazu noch
etwa 150 000 M. aus den Zinfen der Stiftungen und des Mufeumsvereins; zufammen alfo
jährlich 350000 M. Unfere Gemäldegalerie hat einen Jahresetat von 40 000 M., aus dem
Refervefonds einen idealen Anfpruch auf 30000 M., aus den Beiträgen des Mufeumsvereins
(von denen in der Regel die kleinere Hälfte zu Ankäufen für die Plaftik verwendet wird)
etwa 20000 M., aus Stiftungen leider noch nichts; im Ganzen rund 90000 M., alfo nur etwa
den vierten Teil der Summe, welchen die National Gallery jährlich für Erwerbungen zur Ver-
fügung hat. Konnte diefe mit ihren Mitteln nicht an die Erwerbung des Velazquez für rund
eine Million und des Holbeins für anderthalb Millionen Mark denken, fo war der Kauf
für unfere Galerie völlig undenkbar, felbft wenn uns eine außerordentliche Bewilligung
dafür zur Verfügung geftanden hätte, wie es leider bei der Finanzlage der leßten Jahre
gänzlich ausgefchloffen war und noch längere Zeit ausgefchloffen fein wird. Unfere Mufeen,
fpeziell unfere Gemäldegalerie, haben freilich in der Regel zu mäßigen, oft zu fehr niedrigen
Preifen ihre Erwerbungen machen können; die Galerie hat aber auch einige Werke, die zu
ihrer Verbeflerung von wefentlicher Bedeutung erfchienen, fchon zu anfehnlichen Preifen
gekauft; fo Rembrandts Anslo um 20000^, die beiden Tafeln von Simon Marmion faft
um die gleiche Summe und Dürers Holzfchuher nicht fehr viel billiger, ferner einige große
Gemälde wie den Altar von Fra Angelico, die beiden Spinola-Porträts von A. van Dyck,
das Altarbild von Crivelli je etwa um die Hälfte jener Summe. Immerhin erreichten auch
die höchften Preife noch nicht den dritten, refp. vierten Teil von dem, was für die Venus
von Velazquez oder Holbeins Herzogin von Mailand bezahlt worden ift. Inzwifchen haben
die Preife im Laufe diefes Sommers dadurch, daß die Amerikaner wieder auf den Bilder-
markt voll in die Konkurrenz traten, und daß der Einfuhrzoll auf alte Kunftwerke in

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