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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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21. Heft
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Deshairs, Léon: Der chinesische Geschmack des 18. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0777
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DER CHINESISCHE GESCHMACK DES 18. JAHRHUNDERTS IN FRANKREICH

Am Hofe wurden damals chinefifche Bälle und Belüftigungen veranftaltet. Porzellan
wetteiferte auf der Tafel des Königs und der Großen mit dem Silbergefchirr . . . .
Derartige Belege könnten wir leicht vervielfältigen.1 Allein von den aus Oftafien, zur
Zeit Ludwigs XIV. nach Frankreich gelangten Kunftfchä^en und von den zur felben
Zeit davon unternommenen Nachahmungen ift faft nichts bis auf uns herübergekommen.
Im Pavillon de Marsan ift jedoch eine große Vafe aus dunkelblauem Porzellan zu
fehen, welche das Zeichen des königlichen Gardemeuble trägt und deren bronzene
Einfaffung, Henkel und Masken, breit modelliert, die Kunft der erften Jahre des
18. Jahrhunderts verraten.

Wollen wir hingegen die Vorliebe der franzöfifchen Amateurs für China von der
Regencezeit ab bis zur Revolution kennen lernen, fo find es nicht nur die Memoiren, die
königlichen Inventare und die Kataloge berühmter Auktionen (wie die von Gaignat,
von Crozat, vom Herzog d’Aumont), die wir ftudieren können, fondern es find die
Werke felbft, welche in großer Zahl in Mufeen und Privatfammlungen aufbewahrt
werden. Jenes Verlangen offenbart fich auf mehrfache Weife: bald begnügen [ich
unfere Künftler damit, Gegenftände chinefifchen oder japanifchen Urfprungs in felbft-
erfundene Verzierungen einzurahmen; bald verfuchen fie durch eine gefchickte Nach-
ahmung deren Ausfchmückung oder fogar deren Stoff wiederzugeben. Manchmal auch
fuchen fie darin nichts anderes als anregende Motive und laden uns zur Reife nach
einem fingierten Orient ein.

Dies zeigt die in der Ausftellung des Musee des Arts decoratifs organifierte Keramik-
fammlung befonders gut. Dort fehen wir, von den Herren Doiftau, Hodgkins, Larcade
geliehene, Potpourris, Suppenfchüffeln, Wafferkannen, flafchenartige oder fifchförmige
Vafen. Schiffe, Blätter und Mufcheln aus vergoldeter Bronze, mit trefflichem Kunft-
finn zifeliert, bilden dazu koftbare Einfaffungen, mitunter nicht unwert eines Caffieri.
Nichts beweift beffer den Wert, der damals auf die fo zart grünen Seladons und auf
die buntfarbigen Porzellane gelegt wurde, als gerade der Luxus, womit man fie
präfentierte. Aber es war nun einmal unvermeidlich, daß man es verJuchte, jene
Gegenftände, die aus fernen Ländern, mit bedeutendem Koftenaufwand und dank nicht
immer gefahrlofer Reifen hergebracht wurden, auch bei uns zu fabrizieren. So
wird die Gefchichte der europäifchen Keramik lange Zeit durch das emfige Streben
beherrfcht nach der Entdeckung des Geheimniffes jenes glänzenden, durchfcheinenden
Stoffes, nämlich des Porzellans. Schon im 16. Jahrhundert hatte fich Venedig darum
bemüht. In der Mitte des 17. Jahrhunderts rühmte fich Delft, die Erbin des Privilegs der
Feinporzellanfabrik vom Haag, befagte Entdeckung zuftande gebracht zu haben. Diefe
Erzeugniffe, von reicher Farbe und eigentümlichem Glanz, waren fehr gefucht und wurden
bisweilen unter dem Namen des holländifchen Porzellans verkauft. Da es der Fabrik aber
nicht möglich war, die Durchfichtigkeit des geheimnisvollen chinefifchen Produktes nach-
zumachen, fo kopierten die holländifchen Künftler deffen Verzierung als: Geftalten in
langen fdileppenden Kleidern, Bambushecken, Felfen, Pagoden, fremdartige Blumen. Sämt-
liche franzöfifche Porzellanmanufakturen, welche die Sammlung Papillon hier fo treffend
vertritt, taten im 18. Jahrhundert desgleichen: fo u. a. Rouen, welches zuerft chinefifche
Szenen in feine ftrahlende Verzierung hineinmifchte, Nevers, deffen tiefe Blaufarben
allgemein bekannt find, Sinceny, Lille, Sceaux, Straßburg, St. Omer, les Islettes, Aprey,

1 Sie haben Frl. Belevitch-Stankevitch den Stoff zu einem fehr dokumentierten Werke ge-
liefert: Le goüt chinois en France au temps de Louis XIV, 1910, in. 8°.

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