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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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23. Heft
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Biermann, Georg: Hugo von Tschudi
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0955

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HUGO VON TSCHUDI +

Bildung ift es, um den wir in erfter Linie weinen, [ondern der Organifator der Jahr-
hundertausftellung i[t es, der mit diefer Tat dem Deutfchen ein großartiges Kapitel
[einer eigenen Gefchichte zurückerobert hat und der neue Typ des Mufeumsfachmannes,
deffen Ehrgeiz auf das Sammeln jener unvergänglichen Werte gerichtet gewesen ist, die
anregend das Schaffen der eigenen Zeit befruchten füllten, die in [ich den Gradmeffer
ihrer Qualität tragen und aus diefer heraus über die Jahrhunderte hinweg das Zeichen
abfoluter Modernität befißen. Und nicht zuletzt auch gilt die Klage dem Reorganifator,
der aus einer völlig verwahrloften und troß aller aufgeftapelten Kunftwerke fchreiend
unkünftlerifchen Anftalt ein muftergültiges Mufeum gemacht hat; deffen letzte Arbeit,
die Einrichtung der altdeutfchen Säle in der Pinakothek, vielleicht das fchönfte Zeichen
für den Grad von Ehrfurcht ift, den Tfchudi vor jedem echten künftlerifchen Schaffen

ganz unabhängig von der Zeit — befeffen hat. Aus diefer leidenfchaftlichen Liebe
zur Kunft refümiert fein ganzes Wirken als Galeriedirektor. Sie hat ihn als Leiter der
Nationalgalerie zu den Franzofen hingeführt, deren Kulturwerte er bei Zeiten richtig
eingefchäßt, fie brachte ihn ebenfo zu Greco, Goya und Quardi, deren Werke als Neu-
erwerbungen der Pinakothek die erften Zeichen feiner Münchener Tätigkeit waren. Das
machte ihn ebenfo zu dem Führer des jungen Deutfchland in der Malerei, zu dem
bewußten Freunde der Berliner Sezeffion und jener Künftler, die die große Tradition
der Leibi, Schuch und Trübner auf ihre Weife bewußt weitergeführt haben. In dieser
Perfönlichkeit, die fo viel Konseguenz bewiefen hat, fchlummern auch alle Geheimniffe
feines lebendigen Wirkens, das aus der Gefchichte unferer Kultur nicht mehr aus-
zufchalten ift.

Und noch ein Moment berührt in Tfchudis tragifchem Leben fo feltfam und über-
zeugend: jene Verbindung des Gelehrten mit dem Manne von Welt. Er war das rechte
Kind feiner Zeit, ein leuchtendes Beifpiel wirklicher Kultur, die immer feltener wird.
Für ihn war die künftlerifche Vergangenheit ein Lebensborn, der erft im Werden der
Gegenwart wertvoll wird, wenn man den „Schlüffel“ begreift, der zu den fauftifchen
„Müttern“, den geheimnisvoll wirkenden Kräften alles Seins hinabführt. Er ift der
Entwicklung vorangefchritten und hat bei allen Anfeindungen doch noch die Genug-
tuung erlebt, die München feinem Wollen bereitet hat. Das foll der bayrifchen Haupt-
ftadt unvergeffen bleiben. Er hat eine Nachfolge gefehen bei einer tatenfrohen Jugend,
die an dem Beifpiel diefes Mannes herangereift ift, und weil diefe fruchtbar gewor-
denen Kräfte auch für die Folge dem deutfchen Geiftesleben erhalten bleiben, wird auch
fein Werk ganz unabhängig von der ihm gewordenen Aufgabe — Erfüllung
finden.

Soll ich die Taten feines Lebens aufzeichnen, an feine Schriften erinnern und an
all das, was im Begreifen der einzigen Perfönlichkeit beinahe nebenfächlich ift? Ich
denke, es ift den Lefern diefer Zeilen zu wohlbekannt und bedarf nicht mehr der
fchriftlichen Feftlegung im Rahmen diefer Zeitfchrift. Aber was Liebermann kürzlich
bei feinem Tode im B. T. als feine Charakteriftik Tfchudis veröffentlicht, mag für die
Zukunft erhalten bleiben:

„Wie feine Weltanfchauung war feine Kunftanfchauung, einfach und groß. Er liebte
die Kunft und diente ihr, um ihrer felbft willen. Er opferte feine Stellung auf, aber
auch dem mächtigften zu Liebe nicht feine Überzeugung —.“

Das ift ein wundervolles „In Memoriam“ auf der Urne diefes viel Beweinten, möge
es dort eine Stätte finden. G. B.

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