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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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23. Heft
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Schmidt, Robert: Neuerwebungen des Berliner Kunstgewerbe-Museums
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0956

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NEUERWERBUNGEN DES BERLINER
KUNSTGEWERBE-MUSEUMS

Mit 10 Abbildungen j Von ROBERT SCHMIDT

Zur Aufstellung des Zuwachfes, den das Berliner Kunftgewerbe-Mufeum in den
lebten zwei Jahren erhalten hat, ift ein kleiner Raum mit vier abfolut nicht eng
befeßten Vitrinen ausreichend gewefen. Wenn auch eine ganze Reihe lediglich aus
wiffenfchaftlichen Gründen gejammelter Objekte nicht ausgeftellt wurde, fieht man doch,
daß der Ehrgeiz einer möglichst großen Ziffer des Jahresinventars nicht maßgebend
gewefen ift. Immerhin wird eine derartige Revue ftets den Eindruck einer zufällig
zufammengekommenen Menge von Kunftwerken machen; ein Syftem irgendwelcher
Art wird für den Außenftehenden nicht erfichtlich fein. Trotzdem aber wird — ab-
gefehen von der felbftverftändlichen Forderung befter künftlerifcher Qualität — ein mit
den Verhältniffen Vertrauter auch in der bunten Fülle heterogener Dinge bald den Grund
dafür finden, warum gerade diefe Stücke erworben wurden. Bei breit fundamentierten
Sammlungen kommt es in erfter Linie auf einen zielbewußten Ausbau, ein Höher-
fchrauben des künftlerifchen und wiffenfchaftlichen Niveaus der einzelnen Abteilungen
an. Die Probe aufs Exempel wird fpäter mit Leichtigkeit gemacht werden können,
wenn die Neuankäufe in den alten Beftand eingereiht worden find. Dann zeigt fich
deutlich, ob eine Verbefferung oder nur eine Vermehrung der Sammlung eingetreten ift.

An diefer Stelle kann natürlich nicht eine Befprechung des ganzen zur Schau ge-
sellten Materials vorgenommen werden, es foll vielmehr nur eine Auswahl befonders
intereffanter Einzelftücke und Gruppen herausgehoben werden.

Seit längerer Zeit fchon wird eine Verbefferung und Bereicherung der Möbel-
abteilung angeftrebt. Die koftbarfte Neuerwerbung fällt in diefes Gebiet: der faft fchon
zu fenfationellem Ruf gelangte Schreibfchrank des Neuwieder Kunfttifchlers David
Roentgen (1743—1807) (Abb. 1). Das mit allerfeinfter figürlicher Marketterie reich
ausgeftattete Möbel ift um 1780 im Auftrag der Königin Marie Antoinette für den
Papft Pius VI. hergeftellt worden. Roentgens Werkftatt — man könnte faft fagen
Fabrik, denn er befchäftigte ein kleines Heer von Arbeitern für die verfchiedenen
Einzelgebiete des fehr komplizierten Betriebes — befaß internationalen Ruf, fo daß er
als Hoftifchler für faft alle bedeutenden Höfe Europas tätig war. Die bekannteften
feiner Arbeiten find im Befilj des Öfterreichifchen Mufeums in Wien und des Hohen-
zollern-Mufeums in Berlin, große Möbel mit reichen Zutaten von figürlichen Bronzen,
Uhrwerken ufw.; das neue Stück des Kunftgewerbemufeums ift bedeutend kleiner und
im Aufbau fchlichter, dabei aber von fo ausgezeichneten Proportionen und fo vorzüg-
licher Arbeit feiner farbigen Intarfien, daß es zum mindeften auf eine Stufe mit jenen
Prunkmöbeln geftellt werden darf. Die aus lauter verfchiedenfarbigen Holzfurnieren
— ohne Holzbrand und fchraffierende Gravierung, die bei den in Paris arbeitenden
Ebeniften Oben und Riefener üblich waren — zufammengefet$ten Chineferien auf der
Vorderfeite find letzte Beifpiele diefes „indianifchen“ Genres, das die Ornamentik
mehrer Generationen beherrfcht hatte und am bekannteften geworden ift durch die
Porzellanmalereien Herolds in Meißen. Die Seitenwände zeigen feingefchwungene
Girlanden mit Papageien, einen rauchenden Chinefen, eine Tee trinkende Chinefin und
Stilleben. Technifch find diefe Bilder fo gut ausgeführt, daß nirgends — felbft auf
der gerundeten Deckelplatte nicht — eine Unebenheit oder Fuge zu bemerken ift. Auch
die in allen Rahmen- und Traggliedern angebrachten fchlichten Bronzebefchläge find
mit größter Delikateffe durchgearbeitet. Mit dem Roentgenbureau ift ein den Möbeln

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