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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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17. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0715

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AUSSTELLUNGEN

ÄUSSTELLUNGEN

DIE JÄHRESÄUSSTELLUNG IM
GOETHE-NÄTIONÄLMUSEUM ZU
WEIMÄR Än Stelle der Goethebildniffe
vom Vorjahr ift diesmal eine kleine Auswahl
von Kupferftichen und Holzfchnitten, fowie eine
Reihe von Papftmedaillen aus Goethes Samm-
lungen von Sixtus IV. an bis hin zu Clemens XI.
getreten und damit einem oft geäußerten Wunfch
des Publikums, das mit fehnfüchtigen Blicken
die verfchloffenen Schränke und Stellagen im
Urbino-, Juno und Großen Sammlungszimmer
betrachtete, Rechnung getragen worden. Indeffen
konnte dies nur in befchränktem Maße ge-
fchehen, da die Enge der beiden hinteren Chri-
ftianenzimmer, die für folche Sonderausftellungen
zu Gebote [tehen, von felbft einer breiteren Ent-
faltung Schranken feßt; dazu kommt als zweites
Hemmnis die Ungleichheit des vorhandenen
Materials und fchließlich der verfchiedenartige
Standpunkt, auf den [ich der Befchauer zu [teilen
pflegt. So wünfcht etwa der eine an der Hand
der Kupferftiche einen möglichft lückenlofen Ein-
blick in das Gefamtoeuvre eines Künftlers zu
tun, einen andern befriedigt allein fchon die
Betrachtung der verfchiedenartigen Techniken,
und zu diefen beiden gefeilt [ich noch als Dritter
ein paffionierter Goetheforfcher, der an diefer
Stelle privilegiert ift und mit Recht zu wiffen
begehrt, welche Beziehungen Goethe zu jedem
einzelnen oder wenigftens einer ganzen Gruppe
von Stichen gehabt hat, und fo einen neuen
Beitrag zu dem Kapitel „Goethe und die bildende
Kunft“ erhofft. Allen diefen trot$ der angedeuteten
Schwierigkeiten gerecht zu werden, war das Ziel
und die Aufgabe der Ausftellung; welchem von
den dreien indeffen am meiften gedient ift,
muffen wir der Entfcheidung des einzelnen über-
laffen.

Die Auswahl, die etwa den fünfzigften Teil
der gefamten Goethefchen Kupferftichfammlung
umfaßt, bezieht [ich diesmal ausfchließlich auf
Nachbildungen italienifcher Meifter des Quattro-
und Cinquecento.

Mantegna ift mit zwei Originalftichen, dem
„Gefecht zweier Meergötter“ und einem leider
fehr ftark verfchnittenen Blatt der „Grablegung
Chrifti“ vertreten. Dazu kommen mehrere Stiche,
die der Schuchardtfche Katalog (und fomit wahr-
fcheinlich auch größtenteils Goethe) noch als
Mantegnafche Originalftiche anfieht, während die
neuere Forfchung ihnen mit guten Gründen einen
Plats unter den Arbeiten aus der Werkftatt des
Mantegna eingeräumt hat, ferner „Die Geißelung
Chrifti“, ein Ausfchnitt aus „Chriftus in der Vor-

hölle“ und fchließlich drei Stiche von dem „Tri-
umphzug des Cäfar“. Wie fehr Goethe das
letztgenannte Werk des großen Paduaner Mei-
fters gefchätzt hat, wie liebevoll er fich in jedes
Detail hineinverfenkte, mit welchem Aufwand
von geradezu kunfthiftorifcher Gelehrfamkeit er
die ganze Kompofition zu erfaffen fuchte, dafür
liefert fein in den Schriften zur Kunft erfchie-
nener Artikel „Triumphzug von Mantegna“ ein
beredtes Zeugnis. Was Goethe über diefes Kunft-
werk dachte, ift nicht angefichts der Originale,
die fich damals längft in England befanden,
niedergefchrieben worden; er befaß nur eine
Reproduktion in Geftalt von neun Holzfchnitt-
blättern von dem italienifchen Formfchneider An-
dreas Andreani (c. 1550—1610) nach Mantegna
gefchnitten. Intereffant ift es nun, wie er bei
feiner Betrachtung zu dem Refultat gelangt, daß
derAbfchluß des Zuges urfprünglich anders ge-
wefen fein müffe, da der Wagen des Triumpha-
tors nicht allein zu [teil fei, fondern hinter dem-
felben durch den Rahmen abgefchnittene Figuren
fich befänden. Aus einem rein äfthetifchen Be-
dürfnis heraus verlangt er einen Nachklang für
das Auge, und einige den Rücken der Haupt-
figur deckende Geftalten füllen die Harmonie
des Ganzen bewirken. Dabei kommt ihm ein,
wie er annimmt, eigenhändiger Kupferftich Man-
tegnas zu Hilfe, der befonders inhaltlich als
Ergänzung zu dem Ganzen zu paffen fcheint;
denn während dem Siegeswagen Cäfars nur
kriegerifches Volk, fozufagen der Wehrftand,
voraufmarfchiert, folgt hier eine Schar von Pro-
fefforen mit Codices und Folianten, kurz der
Lehrftand. Sie beide ergänzen fich aufs treff-
lichfte, ja gehören nach feiner Anfieht eng zu-
fammen, und er trägt kein Bedenken, feinem
geübten und gefchickten Kupferftecher Schwerd-
geburth den Auftrag zu erteilen, „diefen ab-
fchließenden Nachzug völlig in der Dimenfion
der Andreanifchen Tafeln und in einer dem
Holzftock fowohl in Umriffen als Haltung nach-
ahmenden Zeichnungsart auszuführen, und zwar
in umgekehrter Richtung, fo daß die Wandeln-
den nach der Linken zu fchreiten“, entfprechend
der Bewegung des Zuges (vgl. Äbb.). Diefes
Blatt, das im allgemeinen eine getreue Wieder-
gabe der figürlichen Kompofition des Mantegna-
fchen Stiches ift, weicht nur in der Ausführung
des Hintergrundes von feiner Vorlage ab; denn
während dort ein Architekturprofpekt dem Blick,
wenn er in die Tiefe und Weite fchweifen
möchte fich berechtigtermaßen hindernd ent-
gegenftellt, eröffnet fich hier eine weite Land-
fchaft mit anzeigendem Gelände. Es muß einen
cliefe Umwandlung zwar in Verwunderung fetten,
um fo mehr als Goethe felbft hervorhebt, wie

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