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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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Entdeckungen. Funde
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0054

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ENTDECKUNGEN UND FUNDE

ENTDECKUNGEN ♦ FUNDE

EIN NEUGEFUNDENER VELÄS-
QUEZ Äm 17. Dezember 1910 überrafchte
die Firma Thomas Rgnew&Sons die Londoner
Kunftfreunde durch die im erften Augenblick er-
ftaunlich klingende Nachricht, daß fie einen neuen
Velasquez entdeckt hätte und zwar keinen
anderen als das Original des Porträts Phi-
lips IV. in der Dulwich Gallery, das Velasquez
1644 in Farga gemalt hat. Ihrer Behauptung ver-
mochten Meffrs. Ägnew derart überzeugende Be-
weife beizufügen, daß kein Zweifel mehr beftehen
konnte, daß es [ich wirklich bei ihrem Funde um
das Originalporträt Philips IV. handelte. Ein von
mehreren Kennern gleich angeftellter Vergleich
zwifchen den beiden ja nun augenblicklich in
London beßndlichen Bildern ergab denn auch
deutlich, daß das neuentdeckte Porträt von der
Hand des Velasquez, das in der Dulwich Gallery
befindliche aber fehr wahrfcheinlich, wenn nicht
ficher, von der del Mazos sei. Als solches
hatte Senor Beruete, der bekannte Velasquez-
forfcher, den Meffrs. Agnew als Sachverftändigen
herangezogen hatten, das Dulwichbild auch ftets
angefehen, und auch Claude Phillips, Direktor
der Wallace Collection, hatte in einer feiner
„Art Notes“ im „Daily Telegraph“ im Auguft 1910
das Bild als „wahrfcheinlich von del Mazo
ftammend“ bezeichnet. Andrerfeits meint Jufti,
der in feiner Velasquezbiographie die Entftehung
dieses Porträts eingehend fchildert, in dem
gleichen Buche, daß das Dulwichbild, dem frei-
lich niemand die hohen malerifchen Qualitäten
abftreitet, das Originalbild felber fei. Dies wird
fich aber nun auf Grundlage ftilkritifcher wie
dokumentarifcher Beweife nicht mehr halten
laffen. Was letztere angeht, fo kann die Her-
kunft des Agnewfchen Bildes bis auf feine Ent-
ftehungszeit zurückverfolgt werden. Folgende
Daten find da von Intereffe: In 1748 wurde
Philip, zweiter Sohn Philips V., Herzog von
Parma als Erbe feiner Mutter, einer Farnefe.
Als er Spanien verließ, nahm er mehrere Por-
träts Philips IV., feines Urgroßvaters, darunter
das in Frage ftehende, von der Hand des Velas-
quez mit fich, auf die man in Madrid damals
ihres ernften, fchlichten Charakters wegen, keinen
Wert legte. Im Palaft zu Parma blieb das jeßt
neuentdeckte, aber niemals eigentlich verloren
gegangene Bild bis zum Jahr 1859 hängen. In
diefem Jahre wurde Herzog Robert aus Italien
vertrieben, und er nahm das Bild als fein
Privateigentum mit fich. Es hing dannzunächft
in feinem Schloß Wartegg im Kanton Zürich,
fpäter in feinem Schloß Swastrau bei Wien
Herzog Robert starb 1907, und bei der Erb-

teilung erhielt Prinz Elias das Bild, dem niemand
eine allzugroße Bedeutung beigemeffen zu haben
fcheint, oder dessen Wert zum mindeften nie-
mandem bekannt war, als Teil feines Erbes zu-
gefprochen. Prinz Elias ließ es erft im Schloß
Lichtenegg aufhängen und dann nach Wien
fchaffen, wo es nunmehr von Meffrs. Agnew
für, wie es heißt, faft £ 80000 angekauft worden
ift. Im Haufe Parma foll es der Affäre wegen
ja jeßt fogar noch zu einem Prozeß kommen,
da die andern Mitglieder des Haufes einen Teil
der Riefenverkaufsfumme für fich beanfpruchen.
Herzog Elias hat fich übrigens bei dem Verkauf
die Lieferung einer möglichft guten Kopie aus-
bedungen, und diefe wird nun von einem eng-
lifchen Maler hergeftellt, der f. Z. fchon die
Venus mit dem Spiegel für deren früheren Be-
fißer kopiert hat. — Was nun die ftilkritifchen
Gründe für die Echtheit des Parmabildes gegen-
über dem in der Dulwich Gallery anbetrifft, fo
muß man zunächft auf die charakteriftifchen „pen-
dimenti“ in erfterem hinweifen, die fich in letz-
terem nicht ßnden. Pendimenti aber würden in
einer Kopie nur aus Fälfchungszwecken ange-
bracht werden. Im Original erklären fie fich
leicht genug aus den eigenartigen Umftänden,
unter denen das Bild in großer Haft während
des Krieges gemalt wurde. Sodann weifen
Kenner befonders auf folgende Punkte hin: Die
Hände auf dem Dulwichbilde find fchlaff und
ausdruckslos, und das Geficht fagt uns wenig,
auf dem Parmabilde dagegen faffen die Hände
den Hut und Feldherrnftab wie aus innerem
Antriebe, und überhaupt erfcheint Philip IV. auf
ihm mehr als Menfch fozufagen, wie wohl er
feiner königlichen Würde keineswegs entkleidet
ift; befonders ftark aber fprechen hier, im Gegen-
fatj zum Dulwichbilde, die vollen, finnlichen Lip-
pen mit, die unter dem nach oben gedrehten
Schnurrbart fichtbar werden. Der weiße Kragen
wie das ganze Koftüm find auf dem Parmabilde
malerifch feiner und intereffanter durchgeführt.
Der Wams des Parmabildes weift eine viel
zartere Farbengebung auf als der auf dem
Dulwichbilde, deffen Farbe als ein Rofenrot be-
zeichnet werden kann. Claude Phillips weift
darauf hin, daß die Farbe des wirklichen Wam-
fes wohl mehr der auf dem Dulwichbilde dar-
geftellten geglichen haben mag und vielleicht
gar bei Anfertigung diefer Kopie auf Befehl
Philips angewendet worden fei, daß Velasquez
fie aber aus malerifchen Gründen geändert habe,
nämlich um durch Kontraft und zugleich gegen-
seitige Beziehungen das Haar und die Gefichts-
farbe des Königs ftärker hervortreten zu laffen,
denn in keinem anderen Porträt des Monarchen
weift das Haar einen fo rötlichen Ton auf, und

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