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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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21. Heft
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Schmidt, Robert: Die gerissenen und punktierten holländischen Gläser und verwandte deutsche Arbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0866

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DIE GERISSENEN UND PUNKTIERTEN
HOLLÄNDISCHEN GLÄSER UND VER-
WANDTE DEUTSCHE ARBEITEN

Mit 14 Abbildungen Von ROBERT SCHMIDT

Frühzeitig wurde die Verzierungsart durch Reißen mit dem Diamanten in Holland auf-
genommen — vermutlich durch venezianifchen Import angeregt. Alle Arten Gläfer,
venezianifche und einheimifche Flügelgläfer, die hohen Flöten, grüne Römer von oft
gewaltigem Umfang, und feit 1650 auch mit Vorliebe farbige Flafchen mit breitem
Bauch und fchlankem Hals wurden durch die Diamantfpi^e veredelt. Die gewöhnlichen
Arbeiten diefer Art, welche die auch in Deutfchland und Italien beliebten Ranken mit
Vögeln, weiter aber auch die Wappen der vereinigten holländifchen Provinzen, die
Porträts, die Devifen und allegorifchen Verherrlichungen der oranifchen Statthalter be-
vorzugen, tauchen in der namenlos-unperfönlichen Menge diefer vielfach fehr hand-
werklichen Erzeugniffe unter. Dagegen ift aus dem 17. und 18. Jahrhundert eine be-
trächtliche Anzahl von Gläfern erhalten, die durch Datierung und Künftlerfignatur auf
beftimmte, teilweife wohlbekannte Perfönlichkeiten zurückzuführen find.

Das frühefte datierte, mit Sicherheit nach Holland zu verfemende geriffene Glas ift
ein lichtgrünlicher Becher mit holländifchen Infchriften und dem Datum 1581 in der
Sammlung Snouck-Hourgronje im Haag. Es folgt ein Mühlenbecher mit Wappen und
Devife des Prinzen Morit} von 1595 (Sammlung Fuld, Amfterdam), fowie das in der
Maffe nicht hervorragende große Glas des Rijksmufeums mit der flott geriffenen
fatirifchen Darftellung von Chriftus und Papft. Chriftus reitet auf einem Efel, der Papft
auf prächtig gezäumtem Pferd. „Siet aen lieven Christen desse Beiden recht, Hyer
reidt den Heer ende oock den knecht. 1604.“ (Abb. 1.) Sehr gut und wenig bekannt
ift ein 1615 datiertes, mit den geriffenen Wappen des Erzherzog Albrecht, der Ifabella
Clara Eugenia, Daten und Blumenvafen dekoriertes Glas in Schloß Ettersburg bei
Weimar.

Während bisher Infchriften meift nur untergeordnetes, zur Erklärung der Dar-
ftellung dienendes Beiwerk waren, werden fie nun bei einer nur auf Holland be-
fchränkten Kategorie von Gläfern Selbftzweck. Im 17. Jahrhundert waren die Nieder-
lande überflutet von einer Menge von fog. „Schreibmeiftern“, die das Schönfchreiben
als Kunft ausübten und damit eine im Gefolge der Renaiffanceftrömung entftandene
Bewegung fortführten. Auch als Dilettantenbefchäftigung kam das Kalligraphieren ftark
in Mode. Eine ganze Anzahl diefer Schreibkünftler und -künftlerinnen hat fich nun
auch damit befaßt, auf Gläfer und Flafchen fchön gefchwungene und verzierte In-
fchriften in meift lateinifchen Lettern mit dem Diamanten zu reißen. Die größte Berühmt-
heit haben in diefem Fach der Glasveredlung Anna Roemers-Visscher und Willem
van Heemskerk erlangt. Die drei Töchter des literarifch intereffierten Amfterdamer
Kaufmanns Roemer Pieters Visscher, Anna, Truitje und Maria Teffelfchade, hatten
bereits in ihrer Jugend großen Ruf wegen ihrer Fähigkeiten im Mufizieren, Malen,
Glasfchneiden, im „Emblemata inventeren“, und nicht zum wenigften auch in der Dicht-
kunft. Sie ftanden in der erften Gefellfchaft als hochgeachtete Talente, und befonders
Anna hat rege Beziehungen zu allen damaligen Literaturgrößen des Landes unter-
halten. Sehr gefchäßt waren ihre Glasreißarbeiten, die in Briefen und Gedichten viel-
fach gefeiert wurden. Von der mittleren der drei Schweftern, Truitje, ift allerdings
keine Arbeit nachzuweifen; die jüngfte, die am 21. März 1595 geboren wurde, am

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