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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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19. Heft
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Denkmalpflege
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Gesellschaften und Vereine
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DENKMALPFLEGE

der Florentiner Domkuppel! Für Geld ift vielleicht
[ogar die ganze europäische Kultur mit ihren zwei-
taufend und mehr Jahren aufzukaufen. Was
kann fie auf Abbruch ernftlich wert fein? DieRed.)

WISMÄR Die Perle der Wismarer Marien-
kirche, der gotifche fogen. Krämeraltar, ift durch
Übermalung völlig entwertet worden. Er ge-
hörte zu den beften Schnißwerken der an Kunft-
fchäßen reichen ehemaligen Hanfaftadt. Die
Reftauration gefchah, wie immer in folchen
Fällen, in befter Äbficht, aber in Verkennung
des eigentlichen Wertes alter Bemalung und
zwar unter Zuftimmung des beften Kenners Ält-
wismarer Kunft, des bekannten, nunmehr ver-
dorbenen Sammlers Dr. Crull (die Glanzftücke
feiner Sammlung gingen kürzlich in Befiß des
Schweriner und Hamburger Mufeums über).
Nachdem man fchon das früher weiß getünchte
Innere der Kirche durch „gemalte Backfteine“
verfchönert hatte, weil man von der Voraus-
feßung ausging, daß die Pfeiler urfprünglich un-
verpußt gewefen waren, fcheint man jeßt weitere
Verbefferungen vornehmen zu wollen. Es fehlt
eben an Aufklärung und es ift zu befürchten,
daß auch kleinere Stadt- und bald darauf die
Dorfkirchen unter Aufwand größerer Geldfummen
ihre Kirchenfchäße entwerten. Auf einen Auf-
faß in den mecklenburgifchen Zeitungen, der
den Urkundenwert eines Altars mit alter Be-
malung hervorhob und vor derartigen fogen.
„Reftaurationen“ warnte, erfolgte im „Wismarer
Tageblatt“ eine Verteidigung der Übermalung —
und der „gemalten Backfteine“, die für die An-
fchauung in Laienkreifen zu bezeichnend ift, um
nicht der Öffentlichkeit bekannt gegeben zu
werden. Der Verfaffer, Herr Stadtarchivar Dr.
Techen erklärt, es fei kein Grund vorhanden,
fich über die Wiederherftellung der Kirchen, als
ob fie verfehlt wäre, zu beunruhigen. Die Ur-
fache, weshalb man ruhig bleiben folle, ßndet
er gegenüber den eingehenden Auseinander-
feßungen von fachverftändiger Seite in der un-
geheuerlichen Äuffaffung: „Wir dürfen uns
nicht dem Glauben hingeben, daß der
gegenwärtige Refpekt vor alter Kunft
dauern wird.“ Außerdem „fei es ein altes
Wort: wer da bauen will an der Straßen, muß
die Leute (d. h. den Fachmann!) reden laffen“.

Darnach befteht wenig Ausficht, daß ernfte
Warnungen fruchten. Der einzige Weg ift der,
den das Großherzogtum Oldenburg feit dem
Frühjahr eingefchlagen hat, durch ein Denkmal-
fchußgefeß die Zerftörung oder Entwertung alter
koftbarer Kunftwerke zu verhindern. Schniß-
werke von der Bedeutung des Krämeraltars zu
Wismar dürfen, auch wenn die Farben teilweife

abgeblättert find, nicht ihres Originalzuftandes
und Urkundenwertes beraubt werden. Will
man fie nicht, was in diefem Falle fehr wohl
möglich gewefen wäre, dem Mufeum zum Schüße
anvertrauen, fo ftelle man fie wenigftens an
einem weniger fichtbaren Plaße, etwa in der
Sakriftei, auf oder verhänge fie während des
Gottesdienftes, wenn fich das Durchfchnittspubli-
kum durch die „Ruine“ verleßt glaubt, mit einem
Vorhang.

Der Laie ift ferner der Anficht, daß eine Über-
malung im alten Stile, d. h. genau in den ur-
fprünglichen Farben, die Veränderung entfchul-
dige. Er weiß nicht, daß die Hauptregel bei
allen Reftaurationen folgende bleiben muß: jede
Reftauration ift gefährlich, die man nicht fpäter
einmal fo befeitigen kann, daß man den Original-
zuftand wiedererhält und ihn nachprüfen kann.
Der Wiederherfteller des Krämeraltars, Hof-
dekorationsmaler Kraufe, foll fich bemüht haben,
„treulich“ den urfprünglichen Zuftand wieder zu
gewinnen. Man weiß aber, was folche treuliche
Übermalung bedeutet. Der Altar hat jeßt ge-
radezu Oftereierfarben und ein prunkendes Äus-
fehen für viel überflüffiges Geld erhalten, daß
er alle Äugen auf fich zieht, jeden Kunftfreund
beleidigt und auch den Genuß der Schnißerei
unmöglich macht.

Die Hoffnung, daß der halb alte, halb im alten
Stil modernifierte Altar wenigftens als ab-
fchreckendes Beifpiel, als ein Warnungszeichen
Gutes ftiften möge, fcheint fich auch nicht zu
erfüllen, weil man im Gegenfaß dazu hoffen
will, daß der Refpekt vor alter Kunft aufhöre!

Vielleicht, daß die gegebenen Stellen aufmerk-
fam werden und eine fo leichtfertige Vergeudung
koftbarer Kulturgüter unterfagen. Die Erfahrung
lehrt täglich, daß Reftaurationen anftecken, weil
fie von leicht zu lenkenden Laien nach dem
Urteil der ausführenden Künftler für „fchön“ ge-
halten werden. Es geht dann auch fchon das
Gerücht, daß in der Roftocker Klofterkirche Ähn-
liches „vorgemerkt“ fein foll. Soll die Ernüch-
terung erft bei der kommenden Generation kom-
men, wo vieles zu fpät ift?

Raspe-Oldenburg i. Gr.

GESELLSCHAFTEN UND
VEREINE

DRESDEN Der Verein für kirchliche
Kunft im Königreich Sachfen hat foeben feinen
Jahresbericht 1910 ausgegeben. Ihm ift zu
entnehmen, daß dem Verein im Berichtsjahr ins-
gefamt 114 Aufgaben vorgelegt wurden, 40 von
feiten des Evangelifch-lutherifchen Landeskon-
fiftoriums, 74 von andern Seiten. Es handelte

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