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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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16. Heft
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Lehrs, Max: Vom Meister E S und von Ofenkacheln
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0655

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VOM MEISTER E S UND VON OFEN-
KACHELN Von MÄX LEHES

Im jüngften Heft diefer Zeitfchrift, p. 545, hat Hans Friedrich Secker mehrere Ofen-
kachelfcherben publiziert, die bei Grabungen zwifchen den Fundamenten der Magda-
lenenkirche zu Straßburg gefunden wurden und von denen eine den Simfon mit dem
Löwen nach einem Stich des Meifters E S zeigt, drei andere mit Hirfchen nach Anficht
des Verfaffers mit Benutzung von Blättern aus dem Kartenfpiel des Meifters der Spiel-
karten hergeftellt find.

So erfreulich es ift, daß man neuerdings den Beziehungen des Kunftgewerbes zum
Kupferftich mehr Beachtung fchenkt, als es früher gefchehen, fo möchte ich doch im
Intereffe unferer Wiffenfchaft daran die Mahnung oder wenigftens die befcheidene
Bitte knüpfen, aus diefen Funden keine zu voreiligen Schlüffe für die Lokalifierung
der Kupferftecher zu ziehen, die die Vorlagen dazu lieferten. Auch fcheint es mir
notwendig, daß beim Nachweis von Abhängigkeiten mit der peinlichften Sorgfalt ver-
fahren werde und nicht bloße Ähnlichkeiten, die, fei es durch die Naturformen ge-
wiffer Tiere oder Pflanzen, fei es durch die Typologie gewiffer religiöfer Darftellungen
hinreichend begründet find, als erwiefene Abhängigkeiten vorgeführt werden. Es wäre
Sache der Univerfilätslehrer in ihren Übungen vor folch vorfchnellen Urteilen nach-
drücklich zu warnen, denn fie erfchüttern die Grundveften des Baues, an dem wir
alle arbeiten. Doppelt verhängnisvoll find fie, wenn aus diefen fcheinbaren Abhängig-
keiten noch Schlüffe gezogen werden.

Der Seckerfche Auf faß, fo dankenswert er an fich ift, gibt zu diefen allgemeinen
Bemerkungen Anlaß, weil er mir von fymptomatifcher Bedeutung fcheint für eine ganze
Reihe von kunfthiftorifchen Frühgeburten, deren Zahl fich leider von Jahr zu Jahr in
beängftigender Weife vergrößert. Seckers Nachweis, daß die Kachel Abb. 2 nach dem
Simfon des Meifters E S (Abb. 3) kopiert fei, ift vollkommen richtig und überzeugend.
Ich will ihm auch zugeftehen, daß der Hafner der Scherben Abb. 7 und 8 höchft
wahrfcheinlich die Hirfch-Drei des Kartenfpiels vom Spielkartenmeifter als Vorbild be-
nutzt hat. Wenn er aber weiter fagt: „Ein dritter Hirfch, größer im Format und
fchreitend (Abb. 10) ift einem andern Blatt desfelben Meifters (Abb. 11) nachgearbeitet,
fo muß ich das doch mit aller Entfchiedenheit in Abrede (teilen. Gerade die Gegen-
überftellung beider Tiere ermöglicht es jedem Unbefangenen leicht, fich zu überzeugen,
daß eben hier wie dort ein fchreitender Hirfch dargeftellt ift. Beide aber find in allen
Einzelheiten fo durchaus verfchieden, daß von einer Abhängigkeit nicht die Rede fein
kann. Auf dem Kupferftich L. 74 hebt der Hirfch das linke Vorder- und das rechte
Hinterbein, und die Geweihftangen ragen, der Kopfhaltung entfprechend, hoch empor;
auch die Ohren find aufwärts gerichtet. Auf der Kachel ift troß der gegenfeitigen
Darftellung das linke, alfo vom Befchauer entferntere Vorderbein erhoben, und der
linke Hinterfuß fteht — foweit man nach der an diefer Stelle unklaren Abbildung
urteilen kann — auf dem Boden. Der Hirfch hebt, an einem Zweig äfend, den Kopf,
fo daß fein Geweih horizontal der Rückenlinie parallel fteht und das rechte Ohr nach
unten gekehrt ift. — Es gibt unendlich viele Hirfche in diefer oder ähnlicher Stellung
auf Ofenkacheln, Bucheinbänden, Holzfüllungen, Teppichen, Miniaturen ufw. Sie alle
mit dem Meifter der Spielkarten in Beziehung zu feßen, wäre eine durch nichts zu
rechtfertigende Kühnheit.

Secker glaubt, daß die Auffindung diefer Ofenfcherben in Straßburg vielleicht über
kurz oder lang zu neuen Schlüffen in bezug auf die Lokalifierung des Meifters E S

Der Cicerone, III. Jahrg., 16. Heft. 47

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