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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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Térey, Gábor: Die Greco-Bilder der Sammlung Nemes
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0024

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DIE GRECO-BILDER DER SAMMLUNG

NEMES Mit einer Tafel und vier Abbildungen / Von G. von TEREY

Erft feit einigen Jahren fängt die Geftalt Grecos an in der Kunftwelt eine Rolle zu
fpielen. Es ift aber nur ein kleiner, auserwählter Kreis, der fich mit ihm befchäftigt,
und auch diefer Kreis begnügt fich damit, die Werke des in Spanien eingewanderten
Griechen zu genießen, zu bewundern, ihnen nachzureifen. Es hat fich noch kein Ge-
lehrter gefunden, der in den Archiven von Venedig und Toledo alle die alten Doku-
mente durchftöbert hätte, um die fo unzureichende Biographie Grecos zu erleuchten,
um uns nähere, genauere Aufklärungen zu bringen über fo vieles Wiffenswerte in
diefem Künftlerleben, befonders über fein Verhältnis zu Velazquez. Coffios Werk
über Greco, das demnächft ins Deutfche überfeßt werden foll, ift fchon als ein guter
Anfang zu bezeichnen, desgleichen die zwei Bände von Calvaert, die fich außer Greco
ganz befonders mit der Stadt Toledo befaffen.

Es ift eine eigentümliche Laune des Schickfals, daß diefer Grieche, nachdem er in
Venedig unter dem Einfluffe Tizians, befonders aber Tintorettos feine erften Schwingen
regte, nachdem er fich noch in Rom aufgehalten hatte, nach Spanien kommen mußte.
Und daß er gerade Toledo fand, das fieht fchon beinahe nicht mehr aus wie ein Zu-
fall, fondern wie eine planvolle Fügung des Gefchickes. Selten hat ein Künftler in
einer Stadt gelebt und dort feine Tage befchloffen, die fo zu ihm gepaßt hätte, wie
Toledo zu Greco. Diefe Stadt, die Jahrhunderte hindurch fich gleichgeblieben ift, die
gleichfam aus Felfen hervorwächft, deren herbe troßige Silhouette man fich nur denken
kann gegen einen Himmel von kühler, klarer Farbe. Man wird die Töne Grecos
wohl erft dann ganz verftehen, wenn man die toledanifche Hochebene gefehen hat.
Denn feine Bilder haben diefen unfchäßbaren Vorzug. Sie befißen Lokalton, fie können
dort, und nirgends anders entftanden fein.

Greco wurde fchon während feines römifchen Aufenthaltes als Maler von feltenem
Talent angeftaunt. Aus einem Empfehlungsfchreiben des berühmten Miniaturmalers
Giulio Clovio an den Kardinal Farnefe geht hervor, daß das damals gemalte Selbft-
porträt des Griechen großes Auffehen erregt habe. Man mochte troß des unleugbaren
Einfluffes Tintorettos hier etwas ganz Eigenes entdeckt haben. Obwohl der venezia-
nifche Einfluß fich noch in der erften toledaner Periode bemerkbar macht, war feine
Sehnfucht nach Emphafe und Ausdruck doch fo mächtig, daß er fich auf eine Art und
Weife ausdrückte,' die mit allem vorher Dagewefenen irgendwie kontraftierte. In der
Anordnung feiner Geftalten, in Ausdruck und Form ihrer Gefichter, in der Beiziehung
des landfchaftlichen Elements, ließ er vor allem einen gewiffen Rhythmus walten, der
feinem Innerften entfprach und der es ihm erlaubte, frei von jedem Schema zu kom-
ponieren. Wenn er einen Vorgang wie das Begräbnis des Grafen Orgäz z. B. in
feiner Phantafie rein menfchlich vor fich fieht, fo läßt er fich durch keinerlei Kompo-
fitionsbedenken abhalten, das innerlich Erlebte auch fo wiederzugeben. Dadurch ent-
steht dann die wunderbare Tatfache, daß wir kein Theater vor uns haben, daß die
Figuren nicht wirken, als feien fie aufgeftellt. Und aus der fchlichten Menfchlichkeit
heraus fpricht die Pracht der Ornate und Koftüme, der Stolz und die Raffe der Ge-
fichter, eine doppelt beredte Sprache. Aber die Phantafie des Künftlers dort gebunden
und niedergehalten, wo es im Intereffe der Kompofition als notwendig erfcheint, fchwingt
fich auf zu freien Höhen und fchafft einen Baldachin in den Lüften, eine Glorie, die
ihresgleichen fucht. Die Glut feiner Frömmigkeit hat hier lebendigen Ausdruck ge-
funden, fein Dürft nach Licht und Steigerung wird hier gelöfcht. Die „Himmelfahrt

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Der Cicerone, III. Jahrg., 1. Heft. 1
 
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