Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

DOI Heft:
14. Heft
DOI Artikel:
Secker, Hans Friedrich: Kupferstiche des 15. Jahrhunderts als Vorbilder für Ofenkacheln
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0583

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUPFERSTICHE DES 15. JAHRHUNDERTS
ALS VORBILDER FÜR OFENKÄCHELN

Mit 15 Abbildungen, davon 13 auf 2 Tafeln Von HANS FRIEDRICH SECKER

In den letzten Monaten förderten Nachgrabungen zwifchen den Fundamenten der St.

Magdalenenkirche in der Magdalenengaffe zu Straßburg eine große Zahl grün-
glafierter Kachel[cherben zutage, die offenfichtlich verfchiedenen Öfen aus verfchiedenen
Zeiten — dem 15. und 16. Jahrhundert — angehörten. Von den gotifchen Kacheln,
die leider am meiften gelitten haben und [ich nur in wenigen Bruchftücken wieder
zu anfchaulichen Ergänzungen zufammenfeßen ließen, zeigen viele übereinftimmend
oder in leichten Varianten das Motiv eines Vogels in Blätterranken, die häufig
von künftlich gebrochenen Bändern mit unkenntlichen gotifchen Buchftaben und Noten
durchflochten find (Abb. 1). Profeffor Polaczek, der Direktor des Hohenlohe-Mufeums,
in deffen Befiß die Kacheln gelangen, äußerte zuerft die Vermutung, es könne fich in
diefen kleinen Darftellungen um Anlehnungen an gleichzeitige Kupferftiche handeln, —
eine Annahme, die fich bei weiteren Nachforfchungen in ganz überrafchender Form beftätigte.

Die am vollftändigften zufammengefunclene Kachel (Abb. 2) zeigt den Oberkörper
eines bartlofen jungen Mannes, der einem Tier das Maul auf reißt. Dem Fragment
nach würde man kaum auf den Gedanken kommen, daß hier ein biblifcher Vorgang
erzählt wird, wenn uns nicht ein Stich des Meifters E. S. belehrte, den Tierkopf zu
einem Löwen zu ergänzen. Diefer Kupferftich (Abb. 3)1, den Lehrs in die Frühzeit
des Meifters feßt, zeigt Simfon als Jüngling in einer Gartenlandfchaft, in der Tracht
der gotifchen Edelknappen rittlings über dem Löwen ftehend, dem er das Maul auf-
reißt. Und vergleichen wir die Darftellung auf dem Stich mit der des Kachlers, fo
ergeben fich überzeugende Analogien bis in die Einzelheiten: Beide Male das jugend-
liche bartlofe Geficht mit wallenden Locken und der kecken Feder im Haar, der aus-
gefchnittene Hals, die aufgerafften Ärmel, der gedrehte Leibgurt mit den wehenden
Zipfeln, diefelbe Stellung der Hände und fogar Kopf und Schwanz des Löwen voll-
kommen gleich. Die Details der Landfchaft würden für den Guß zu große Schwierig-
keiten gemacht haben, darum verfeßt der Kachler die Simfongruppe unter ein gotifches
Neßgewölbe, übernimmt aber noch vom Stich die Mauer des Gartens.

Es fand fich das Bruchftück eines zweiten folchen Rippengewölbes, das vermuten
läßt, daß auf einer entfprechenden Kachel das Weib von Thimnath dargeftellt war,
das auf dem Stich ftehend die Tat des Simfon bewundert. Vielleicht ift uns in dem
Gewandfragment einer ftehenden Frau (Abb. 4) noch ein Stück diefer Figur erhalten.

Weitere unzweifelhafte Beziehungen zum Meifter E. S. ließen fich nicht feftftellen.
Allenfalls könnte das aufgerollte Ende eines Schlangenfchwanzes (Abb. 5) auf den-
felben zurückzuführen fein, da diefes Detail in fehr ähnlicher Linie auf der Münchner
„Madonna auf der Schlange“2 vorkommt.

Um zu zeigen, wie fehr fich das Simfonmotiv des Meifters E. S. am Oberrhein be-
fonderer Beliebtheit erfreute, möchte ich hier noch ein anderes fpäteres Beifpiel ein-
fügen, das ich auf einem Bilde des Hans Baidung Grien vom Jahre 1522 zu er-
kennen glaube. Es ift das die Steinigung Stephani in der Straßburger Gemäldegalerie
(Katal. Nr. 13), auf der fich neben Baidungs Signatur ein Sockelornament befindet

1 Max Lehrs: Gefchichte und kritifcher Katalog des deutfchen, niederländifchen und franzöfifchen
Kupferftichs im 15. Jahrhundert. Wien 1910. Band II, Tafel 61, Abbildung 157.

2 Max Geisberg: Die Anfänge des deutfchen Kupferftiches und der Meifter E. S., Leipzig 1910.
Tafel 36.

545
 
Annotationen