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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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3. Heft
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Grautoff, Otto: Die Sammlung Chauchard im Louvre
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0121

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DIE SÄMMLUNG CHÄUCHÄRD IM LOUVRE

Von OTTO GRAUTOFF

Endlich ift die viel befprochene Stiftung des im Juni 1909 verftorbenen Multi-
millionärs Chauchard am 20. Dezember 1910 in dem Teil des Louvre, in dem bis
zum vorigen Jahre das Kolonialminifterium untergebracht war, dem Publikum pro-
viforifch zugänglich gemacht worden. Ihren definitiven Plats können die 140 Gemälde,
eine Zeichnung und 28 Kleinbronzen erft finden, wenn der Pavillon de Flore um-
gebaut worden ift. Da diefe Arbeiten noch länger als ein Jahr währen werden, ift es
zu begrüßen, daß die Rechtsnachfolger Chauchards die Mittel bewilligten zu einer
proviforifchen Aufteilung der Sammlung. Die Einfachheit in der Ausftattung der gut
belichteten Säle, die fich an die große Rubens-Galerie anfchließen, wirkt erfreulich.
Jeder falfche oder aufdringliche Prunk ift glücklich vermieden worden; die neutrale
Wandbefpannung würde die einzelnen Bilder zu guter Wirkung bringen, wenn nicht
das neuefte Prinzip der Louvreverwaltung auch hier Geltung gewonnen hätte, daß
nämlich die Hauptwerke unter Glas viel von der Klangkraft der Farben verlieren. Wie
oft ftört den Betrachter fein eigenes Spiegelbild! Ein Pereat den Bilder-Vandalen, die
diefe Verordnung veranlaßt haben.

Nicht ohne eine gewiffe Spannung betritt man die Säle, in denen ein neugieriges
Publikum fich in dichten Scharen drängt. Was hat die Tagespreffe von diefer Privat-
fammlung alles zu berichten gewußt. Bilder, deren Ruhm die Welt erfüllt, waren
Eigentum diefes Plutokraten. Zum Teil find fie in Reproduktionen über den ganzen
Erdball verbreitet. Wir wiffen, daß Chauchards Galerie für 17 700 000 Franken ver-
fichert war. Der Stifter war von der Bedeutung feines Mäcenatentums fo überzeugt,
daß er im Teftament forderte, daß fein Marmorbildnis, „auf dem ich das Großkreuz
der Ehrenlegion trage“ (sic), inmitten der Bilder aufgeftellt wird. Nach alledem wird
man verfucht anzunehmen, daß es fich um Meifterwerke handelt, wie fterbliche Augen
fie vorher noch niemals fahen. Alle, die in diefer Erwartung die Chauchard-Säle des
Louvre betreten, werden bitter enttäufcht. Der erfte Rundgang durch die Sammlung
läßt ihren Mangel an Charakter empfindlich bedauern. Es herrfcht ein buntes Durch-
einander zwifchen Corot und Meiffonnier, Millet und Henner, Decamps und Troyon,
Rouffeau und Ziem. Schon die Ziffern, mit der die einzelnen Bilder verfichert worden
find, erlauben einen Schluß auf den eigentlichen Gefchmack diefes Kröfus, der die be-
rühmteften Bilder und Meiffonniers Werke am höchften einfchätjte. Daß Meiffonnier
und Ifabey Chauchards Lieblinge waren, kann man fich denken, wenn man das klein-
lich zerfurchte Geficht des Verftorben mit dem drolligen Schifferbart fieht, das Benjamin
Conftant in pathetifch-repräfentativer Allüre malte. Schon bei dem erften Rundgang
fucht man erwartungsvoll Millets „L’Angelus“, das Chauchard für 800 000 Franken
aus Amerika für fich und das Louvre rettete. Weil man dem Eindruck feiner Augen
nicht trauen will, fährt man fich mit der Hand über die Stirn. Diefes kleine Bild,
deffen Werte durch außerordentlich fchlechte Farbenreproduktionen häufig gefälfcht
worden find, läßt die ftärkften Elemente der Milletfchen Kunft vermiffen. Der zweite
und dritte Plan des Bildes find leer und farblos, worunter auch die Silhouetten der
beiden Betenden an Wirkung einbüßen. Die Figuren felbft wirken lediglich durch die
fakrale Haltung, deren fchlichter Innigkeit eine fuggeftive Gewalt innewohnt. Sind die
dumpfen, klanglofen Farben der Geftalten mit der Zeit nachgedunkelt oder hat die
ungefchickte Hand des Reftaurators, der den größten Teil des Bildes übermalte, die
farbige Kompofition des Bildes zerftört? Alles in allem kann man fich des Eindrucks

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