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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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15. Heft
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Biermann, Georg: Im Kampf um die Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0630

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IM KÄMPF UM DIE KUNST

Wer einmal nach hundert Jahren die Kultur-
gefchichte unferer Tage fchreiben wird,
dem kann es an Dokumenten nicht fehlen, die
dartun, wie diefe Zeit eine Epoche ungeheuer-
fter Expanfionskraft auf geiftigem Gebiete ge-
wefen ift und wie notgedrungen der Kampf
die oberfte Lofung unferer Gegenwart fein
mußte. Daß fich diefer Kampf allein mit den
Waffen vollzieht, die für den Edelmenfchen Be-
rechtigung haben, ift ein fchönes Symptom diefes
ungehemmten Fortfehrittes und erweift feine
kulturelle Notwendigkeit. Mag er im Augen-
blick auch noch fo fehr verftimmen, weil logi-
fcherweife jede der ftreitenden Parteien das
Recht für fich in Änfpruch nimmt, in feinen
Folgeerfcheinungen wirkt er wie ein erlöfendes
Gewitter nach Hundstagsfommerhitze.

Der Worpsweder Carl Vinnen, der in fich den
Beruf eines Kulturapoftels empfand, hat vor
Wochen einen deutfehen Kunftkrieg vom Zaune
gebrochen, deffen wildbewegte Wellen in faft
überrafchender Weife an unferer künftlerifchen
Überzeugung emporbrandeten, vielleicht ftär-
ker, als es diefer fo harmlos ausfehauende
„Künftlerproteft“ vermuten ließ. Aber es muß
wohl fo gewefen fein, daß diefe öffentliche
Ausfprache Dinge berührte, die den Lebensnerv
deffen trafen, was wir feither in jahrelanger
Arbeit als pofitive Erkenntnis für gefiebert
wähnten und daß hinter allem patriotifchen Ge-
tue das Gefpenft der Reaktion gar zu offen-
kundig zutage trat. Und fo mußte diefer Pro-
teft notgedrungen wieder einen neuen Proteft
zeitigen und der ift foeben als anfehnlicher
Band und als ein wahrhaft fchönes Kulturdoku-
ment bei R. Piper & Co., München unter dem
oben genannten Stichwort erfchienen.

Lohnt es auch heute kaum mehr, im Detail
auf die Kampffchrift des Herrn Vinnen einzu-
gehen, weil diefe in der Tagespreffe mit allem
Für und Wider fattfam diskutiert worden ift, fo
kann man doch angefichts diefer erquickenden
Fehde einige prinzipielle Bemerkungen nicht
unterdrücken, weil fich in diefem doppelten Pro-
teft ein Stück Lebensfchickfal unferer Genera-
tion offenbart und weil vor allem die Antwort
auf den Vinnenfchen Kampfesruf erneut den
Glauben an die Kraft und das zielbewußte
Wollen unferer Kunft und ihrer vor der Öffent-
lichkeit beftellten Hüter weckt, wie es beffer
nie hätte gefchehen können.

Denn nicht darin wurzelt das Ergebnis diefes
geiftigen Zweikampfes, daß Herr Vinnen und
die um ihn ohne jede Frage unterlegen find
und daß diefes Zugeftändnis felbft für diejeni-
gen kein öffentliches Fiasko bedeuten kann, die
fich fogar durch Unterfchrift im guten Glauben

zu ihrer eigenen Überzeugung und ihrem Wir-
ken in Widerfpruch gefegt haben, fondern es
ift vielmehr die prinzipielle Erledigung einer
für die kommende Entwicklung eminent wichti-
gen Angelegenheit, deren Diskuffion auch in
abfeits ftehenden Kreifen zur Einkehr ftimmen
mußte, was diefen Kampf für die deutfehe Kul-
tur der Gegenwart wertvoll macht.

Das Don Quichote-Duell des Herrn Vinnen,
der gegen Windmühlen die Lanze brach, wäh-
rend feine getreuen Sancho Panfas den Gegner
ziemlich ficher erkannten, traf auf Umwegen
die einzige Kardinalfrage, von der alles Wohl
und Wehe unferer Kunft abhängt und diefe
lautet: Hat der deutfehe Künftler das Recht
vom Fremden zu lernen und gibt es in der
Kunft überhaupt Schranken der Nationalität, die
den Schaffenden und damit auch den öffent-
lichen Hüter feiner Werke auf ein beftimmtes
„völkifches“ Programm feftlegen, oder aber ift
die Qualität als folche das einzig Maßgebende
und ift die Kunft frei und in ihrer Evolution
jenen beftimmenden Momenten untertan, die
in unferer Zeit längft den internationalen Ge-
dankenaustaufch proklamiert haben. Denn die
angebliche Überfchägung gewiffer minderwerti-
ger pariferifcher Atelierprodukte, unter denen
die Äbfatzfähigkeit der guten deutfehen Kunft
leiden foll, war doch wohl nur die erfte Fanfare,
die jene kampfesfreudigen Künftler und Kritiker
zu einer allgemeinen Ausfprache auf den Tum-
melplatz trieb. Das foziale Moment war der
Vorwand, der die künftlerifche Gewiffensfrage
fchlecht verdeckte und es war gut, daß die Dis-
kuffion als folche nur diefe aufgegriffen hat.
Weil hier allein der Kernpunkt diefes Kampfes
wurzelte und weil es für die Entwicklung nicht
gleichgültig fein darf, von welcher Warte aus
Sammler in ihrem Tun die große Bewegung
der Gegenwart betrachten, Mufeumsdirektoren
die Initiative für ihr Wirken erkennen und die
Künftler felbft die Möglichkeiten zur Entfaltung
ihres Talentes erblicken. Denn alle diefe Mo-
mente berühren fich im Innerften fo eng mit-
einander, daß die lebendige Kraft unferer Kul-
tur in einem wichtigen Punkte verfagen müßte,
fobald die Freiheit individuellfter Betätigung
gerade auf diefem Gebiete auch nur entfernt
gehemmt wird. Darum fah fich logifcherweife
auch der Künftler mit dem Galeriedirektor und
dem Kritiker als Bundesgenoffen Schulter an
Schulter in diefem Kampfe und das bezeich-
nende Stichwort der letzten Brofchüre involviert
für mein Empfinden ebenfo die ganze Frage
wie ihre Löfung.

Im Kampf um die Kunft ift diefe Ausfprache
erfolgt, die klärend und fördernd wirken muß,

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