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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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19. Heft
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20. Heft
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Mundt, Albert: Neuerwerbungen des städtischen Kunstgewerbe-Museums zu Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0815

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NEUERWERBUNGEN DES STÄDTISCHEN
KUNSTGEWERBE-MUSEUMS ZU LEIPZIG

Mit 16 Abbildungen, davon vier auf drei Tafeln Von ÄLBERT MUNDT

Das Leipziger Kunftgewerbe-Mufeum genießt leider nicht den Vorzug vieler anderer
Mufeen, aus altem fürftlichen oder kirchlichem Befife einen Grundftock bedeutender
Kunftwerke überkommen zu haben. Die Anfänge feiner Sammlungen gehen nur bis
zum Jahre 1874 zurück. Die Wiener Weltausftellung 1873 hatte die Anregung ge-
geben, auch in Leipzig eine Sammlung kunftgewerblicher Objekte anzulegen, mit dem
ausgefprochenen Zweck, als Vorbilder für die damalige moderne Produktion zu dienen.
Es liegt nahe, daß Kopien alten Kunftgewerbes damals nicht weniger wichtig und
brauchbar erfchienen, als die viel koftbareren Originale. Nur wenig aus jener Zeit ift
heute noch in der Schaufammlung des Mufeums vorhanden. Mit einigen Ausnahmen
find faft alle Qualitätsftücke erft von dem Jahre 1896 an unter der Leitung von Richard
Graul erworben, und erft feit das Mufeum 1904 in ftädtifche Verwaltung übernommen,
konnte mit ftändig wachfenden Ankaufsmitteln an eine erfolgreiche Vermehrung der
Beftände gegangen werden.

Heute hat das Leipziger Kunftgewerbe-Mufeum unter den aufftrebenden deutfchen
Mufeen einen fchweren Stand. Die Sorge für alles, was lokalgefchichtliches Intereffe
bietet, hat das neue ftadtgefchichtliche Mufeum übernommen, die konfervierende Tätig-
keit eines Provinzial-Mufeums ift Dresden überlaffen, die bodenftändige kunftgewerb-
liche Produktion des Landes, wie fie z. B. in den norddeutfchen Sammlungen eine
wichtige Rolle fpielt, war in Sachfen, vom Zinn und dem feltenen Steinzeug etwa ab-
gefehen, von untergeordneter Bedeutung; das kaum noch zu bezahlende Meißner
Porzellan hat für alle Zeiten in der Dresdner Sammlung feinen gegebenen Mittelpunkt.
Es bleibt fo dem Mufeum in erfter Linie die Aufgabe, Höhepunkte der Gefchmacks-
bildung an ausgewählten Beifpielen der verfchiedenen technifchen Gruppen zur genuß-
reichen Belehrung und Anregung vorzuführen und die für das Verftändnis und die
Schäßung als Grundlage dienende Anfchauung der hiftorifchen Entwicklung des kunft-
gewerblichen Schaffens in feinen wichtigften Epochen zu vermitteln. Ein Hinausgreifen
über Deutfchland ift hierbei ftilgefchichtlich bedingt. Diefe, wie es fcheinen mag, idealen
Ziele eines Kunftgewerbe-Mufeums find aber der Bedeutung Leipzigs als der viertgrößten
Stadt des Reiches und eines Zentrums der deutfchen Induftrie und des Handels durch-
aus nur angemeffen. Ihre Realifierung freilich wird fich unter den heutigen Verhält-
niffen von Jahr zu Jahr fchwieriger geftalten.

Daß es in den beiden lebten Jahren möglich war, unter Aufwendung von be-
deutenden Summen eine Reihe folch vorzüglicher Erwerbungen zu machen, wie fie
im folgenden vorgelegt werden follen, ift nur außerordentlichen Bewilligungen der
ftädtifchen Behörden und namhaften Schenkungen privater Gönner fowie der von der
Direktion 1909 ins Leben gerufenen Gefellfchaft der Freunde des Kunftgewerbe-Mufeums
zu danken.

Nur fo konnten bei der erften Berliner Verweigerung der berühmten Lannafchen
Sammlung einige wertvolle Stücke der umfangreichen keramifchen Abteilung erftanden
werden. Von den heißumftrittenen großen fpätgotifchen Kacheln des Ofens aus der
Wiener Stephansdomfakriftci, der vermutlidi in Oberöfterreich noch vor 1500 entftanden
ift, erlangte das Mufeum die in der Verwendung weniger Farben fehr gefchloffen
wirkende, in der Modellierung den ganzen Reiz naiver Handwerkskunft verratende
Kachel mit der Vertreibung aus dem Paradiefe (Abb. 1). Neben diefem Prachtftück

Der Cicerone, III. Jahrg., 20. Heft. 59

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