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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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24. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#1018

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AUSSTELLUNGEN

was man der im ganzen doch ein wenig fro-
ftigen Farbigkeit diefes Malers, deffen Tempe-
rament etwas Erkünsteltes hat, nachfagen kann.
Dagegen find die Graphiken des hier mehrfach
genannten Wilhelm Gailhof eine erfreuliche
Beftätigung diefes hervorragenden Talentes und
in fich Proben feiner fouveränen Vielfeitigkeit. B.

BRÜSSEL Die „SOCIETE BELGE DES
AQUARELLISTES“, welche heuer noch im
Modernen Mufeum ausftellte und wieder eine
Reihe qualitativ hochklaffiger Werke bringt, die
fich vom Banalen wie vom Exzentrifchen gleich
fern halten, hatte diesmal an deutfehe Aqua-
relliften Einladungen ergehen laffen. Diefe find
faft ebenfo zahlreich wie ihre belgifchen Kollegen
(ca. 40) erfchienen und zwar mit Werken, die
vollgültiges Zeugnis für die deutfehe Leiftungs-
fähigkeit ablegen. Die Preffe, welche früher die
deutfehe Kunft öfters als quantite negligeable
hingeftellt hat, ift diesmal der Anerkennung und
des Lobes voll. Von den deutfehen Einfendern
feien Arthur Kampf, Kohlfchein, Lesker, Baur,
Mühlig, Neuenborn, Bürgers, Sandrock, Reufing
und Hans v. Bartels (mit zwei vorzüglichen
Seeftücken) hervorgehoben. F. M.

BUDAPEST Mit außerordentlichem Beifall
wurde die im MÜVESZHÄZ (Künftlerhaus) er-
öffnete retrofpektive Äusftellung des Malers Karl
Kernftock aufgenommen. Der Künftler gilt in
Ungarn feit kaum drei Jahren als der Exponent
der fynthetifchen monumentalen Richtung, die
ihre eigentümliche Prägung hauptfächlich von
Matiffe erhielt. Wir würden jedoch unferem
Künftler Unrecht antun, wenn wir feine Leiftung
fchlechthin als Nachahmung bezeichnen würden.
Kernftock ift nämlich durch fein ganzes Wefen
zum Experimentieren, ja fogar zum Revoltieren
prädeftiniert. Schon die aufmerkfame Betrach-
tung feiner erften Kompofition, eines Genre-
bildes, das er 1895, nach erledigten Studien bei
Simon Hollöfy und in der Julian-Schule fchuf,
muß einen überzeugen, daß er dem zuerft ein-
gefchlagenen Weg nicht lange folgen konnte.
Er trat nämlich mit einer perfekten zeidinerifchen
Bildung, mit feltener Intelligenz und Energie,
aber mit auffallend wenig Farbenfinn und
Empfindlichkeit gegen die verborgene Poefie
der Natur vor die Öffentlichkeit. Der weitere
Schritt wurde daher bald getan. Der Künftler
verfuchte fich an derberen Themen und Farben-
effekten. Er malte feinen Agitator (1897) und
die Bugfierer (1898). Die erftere diefer Kompo-
fitionen, die noch in Benczurs Meifterfchule ent-
ftand, wurde noch im Zeichen des platteften
Naturalismus gemalt, während der Künftler mit

der letzteren fich zum Impreffionismus bekannte.
Unbefriedigt verließ er aber auch diefe Richtung,
um eine Zeitlang zwifchen verfchiedenen Form-
und Farbenproblemen hin- und herzufchwanken.
Er ging auf ein kräftiges Helldunkel, bald mit
grellen Farben, wie in den Kompofitionen „Liebe“
(1899), „Sonntagsnachmittag“ (1901), bald mit
dumpfem braunen Grundton, wie in „Drei Mo-
delle“ (1904), „Chriftus und die Jünger in Emmaus“
(1906), Bildnis des Abgeordneten Pichler (1907)
u. a. m. Bezeichnend blieben für ihn immer
die wuchtigen Formen und ein wirkungsvolles
Sfumato. Er blieb in diefer Periode feines
Schaffens nicht unbeeinflußt von Besnard und
Renoir und in dem großartigen, 1902 entftan-
denen Doppelporträt „Mutter und Kind“ mahnt
er fogar an Velazquez.

Das Jahr 1908 brachte dann eine entfehiedene
Wendung nach dem Zeidinerifchen und deko-
rativ Koloriftifchen hin. Der Künftler verließ
das vibrierende Helldunkel, um der Klarheit der
Formenfprache und Lebendigkeit der durch einige
Lokalfarben hervorgerufenen koloriftifchen Wir-
kung den Vorrang zu geben. In diefer kurzen
Übergangsperiode malte er die Bildniffe von
Herrn und Frau A. Lederer, Frau Revai und
feiner eigenen Gattin im Freien mit dem Kinde
auf einer Bank fißend.

Schon im nächften Jahr (1909) ftellte Kernftock
einige Aktdarftellungen aus, in denen er fich
faft ganz auf die ftruktiven Grundwerte kon-
zentrierte, um durch das Primäre überzeugender
und fuggeftiver wirken zu können. Er faßte
die Formen zu großen Einheiten zufammen, die
durch monumentale Liniengebilde vergegen-
wärligt werden. Das Beftreben des Künftlers
richtet fich danach, die Grundidee der Formen-
bildung verftändlich zu machen und zwar haupt-
fächlich durch die Akzentuierung der dominie-
renden Details. Der zur Ausbildung diefer
Kunfttheorie führende Reinigungsprozeß verlief
natürlich nicht glatt und das Endrefultat des
Kampfes nach entfprechender Ausdrucksweife
ift noch abzuwarten. Die erften Verfuche finde
ich unbefriedigend. Die nackte Figur eines Kna-
ben (Nr. 36 der Äusftellung) zeigt fchon außer-
ordentlich viel Sinn für die große ftruktive
Linie. Die neueften Werke — figurenreiche
Aktkompofitionen und Kartons für Glasgemälde,
gleichfalls mit nackten Figuren — find bereits
aus vollem Verftändnis für die eigentümliche
künftlerifche Aufgabe entftanden. Befonders
lobenswert finde ich in ihnen den weichen
Rhythmus der Bewegung, der troßdem, daß er
das Studium Pollajuolos, Botticellis und über-
haupt der wiffenfchaftlich gefärbten Kunft des
Florentiner Quattrocento, fowie die Einwirkung

Der Cicerone, III. Jahrg., 24. Heft. 72

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