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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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22. Heft
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Stoermer, Curt: Die Neuerwerbungen der Bremer Kunsthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0820
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DIE NEUERWERBUNGEN DER BREMER KUNSTHALLE

größere [ein. Schon fo erfordert die Aufgabe bedeutende Männer. Auf jeden Fall
ift es erfreulich zu fehen, auch bei den Neuerwerbungen der Bremer Kunfthahe, wie
fich ein beftimmterStil heranbildet: das Mufeum, welches „die Entwicklung des modernen
Staatsgebildes und die Verfchiebung feiner tragenden Kräfte fpiegelt", wie Pauli fagt.
Diefer Stil ift ja nicht immer zeitgemäß und fchöpferifch, ift für den Laien nur dann
zu genießen, wenn er ihn aus dem Geifte feines Schöpfers herleitct. Doch hier gilt
die Frage: welche Richtung ift am ungefährlichften?
Unbeftreitlich ift es die Kunft der Niederlande, auf welcher der moderne Realismus
fußt. Ein direkter Einfluß diefer Kunft gefchah am Ende des 19. Jahrhunderts auf das
gefamte Kunftleben. So gibt es felbft bei den Niederländern pfychologifche Grund-
momente, welche deren Kunft mit der unferigen analog erfcheinen laffen, z. B. die
zeitweilig ftarken Einflüffe romanifcher Kunft; andere Epochen wiederum ftellten fich
ganz auf [ich, befchränkten fich auf ihr nationales Empfinden und waren ftark durch
die Fähigkeit unmittelbaren Ausdruckgebens. So entftand der Realismus als Kunft-
gattung im 15. Jahrhundert. Jan van Eyck und Memling mögen als ihre Meifter gelten.
Nach Memling werden Einflüffe der italienifchen Renaiffance in den Niederlanden vor-
wiegend. Die große Menge huldigte dem Romanismus. Als vereinzelte Größe emp-
finden wir die Kunft des Realiften Pieter Breughel. Mit ihm blieben Bildnis und
Genre nordifch.
Mit einem Bildnis Thomas de Key fers, des als Vorläufer Rembrandts bedeut-
famen Porträtmalers, beginnen die Neuerwerbungen. Ich finde de Keyfer gar nicht fo
langweilig, wie öfter behauptet wird. Die betende Mutter mit dem Kinde im Kaifer
Friedrich-Mufeum ift doch fehr eigenartig erfaßt und prachtvoll in der Kompofition.
Auch diefes männliche Bildnis zeugt nicht von ftarkem Temperamente, ift aber fehr
feinfühlige, kultivierte Malerei, was fich befonders in den warmen, reichen Gefichts-
tönen ausdrückt. Der Kopf ift aus einer großen indifferent gehaltenen braunen Fläche
herausgearbeitet. Ein hervorragendes Werk von Elsheimer ift die Predigt Johannis
des Täufers. Elsheimer ift der gute Typus eines Renaiffancemalers. Die Farbigkeit
feiner Landfchaft erinnert an Giorgione und weift gleichzeitig fchon auf Ruisdael und
Hobbema hin. Das Bild mit der kleinen, bunten Staffage wird um 1600 entftanden feinT
Überhaupt das 17. Jahrhundert befreit fich wieder vom Italismus. Adrian Brouwer
und Jan Steen find die wirkfamften Maler. Ein Bild „Liebeswerbung" von Jan Steen
wurde erworben. Naiv fatirifch ift ein Liebespaar dargeftelit. Sie berührt ihn mit
der linken Hand, während ihre Rechte ihm das Glas darreicht. Er greift nicht ganz
zu, fondern fchmunzelnd fcheint er fich zu befinnen. Prachtvoll find die Charaktere
herausgearbeitet.
Der bedeutendfte Landfchaftsmaler diefer Zeit ift Jan van Goyen, Schüler Efaias
van de Velde. Aus feiner reiferen Epoche ftammen zwei Flußlandfchaften, die feit
kurzem der Kunfthahe gehören. Nach des Meifters Art entwickelt fich die landfchaft-
liche Ferne aus einem dunkelfchweren Vordergrund. So finden wir auch hier auf
der großen Landfchaft troß des heiteren Himmels einen fchweren Wolkenfchatten vor-
gelagert, ein Boot voll Menfchen fchaukelt in der Mitte, Waffer und Luft entfernen
fich filbergrau, rechts am Ufer fteht eine Ruine braun in braun und ein dunkelgrauer
Pfahlbau. Das kleinere Bild zeigt noch mehr die kühle duftige Fernftimmung des

* Die Urheberfchaft Elsheimers ift nicht ganz ficher. Es wurde ihm auf Grund einiger Ver-
gleiche in der Münchener Pinakothek zugefchrieben.
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