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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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4. Heft
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Friedeberger, Hans: Gelegentlich einer Ausstellung Munscher Werke im Kunstsalon Gurlitt in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0153

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GELEGENTLICH EINER AUSSTELLUNG MUNCHSCHER WERKE BEI GURLITT

gewichts mechaniftifch und
errechnet, ein wenig zuerft
in dem gewaltigen Bilde der
Schneearbeiter, einem der
monumentalften Werke, das
die neuere Kunftgefchichte
kennt. Hier wird die kon-
ftruktive Miffion der über-
mäßig vergrößerten Schaufel
fo deutlich, daß es der gan-
zen Wucht und Schönheit der
Kompofition bedarf, um die
Wirkung wiederherzuftellen.

Bei dem Bildnis des Herrn
Kollmann ift es fchlimmer.

Man empfindet das dunkle
Dreieck an der linken Schulter
als zu abfichtlich, man fpürt
es nur noch als Gewicht, und
hat das fatale Gefühl, bei
einem Bilde, das das Por-
trätproblem ohne jeden Rück-
ftand gelöft hat, auf ein
unerlöftes Stück Materie, auf
eine Verlegenheitsform zu
ftoßen.

In einer Kunft, die ihre
Gefchloffenheit fo fehr der
Linie verdankt, kann der
Farbe keine konftruktive Rolle
zufallen. So gibt es denn
unter diefen 81 Stücken nur
zwei, wo die Farbe als Glie-
derungsmittel angefprochen
werden kann, und bei dem einen ift auch noch dafür geforgt, daß die Linie hilfreich
dazu kommt. In der Farbe aber befreit fich die Sehnfucht zur Schönheit, und fie ift
wefentlich in diefer Kunft, weil aller Glanz, alle Feftlichkeit und der größte Teil der
Stimmung von ihr ausgeht. Deshalb wurde auch ein Verfuch, fie nach neoimpreffionifti-
fchen Grundfätjen zu zerlegen, bald wieder aufgegeben. Bei den Bildern der lejjten Zeit
hat die Farbe, die immer fchon fehr rein und fehr fdhön an fich war, manchmal etwas
Juwelenhaftes. Schattierungen von Grün werden mit Lila und Zinnober zu Wirkungen
von goldfchmiedehafter Raffiniertheit vereinigt. Aber es muß ausgefprochen werden,
daß diefe Bilder fowohl an Kraft wie an Tiefe die früheren nicht erreichen.

Sei es drum! Wir leben in der Kunft jeßt, foweit das Neue in Betracht kommt,
von Hoffnungen und Verfprechungen. Hier ift eine ganze Kunft, eine reife und fefte,
die ftark genug und deren Seele tief genug ift, um zu beglücken und zu erfchüttern.

Äbb. 8. EDVARD MUNCH, Porträt des Herrn S.

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