JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG DEUTSCHER KUNST 1650 1800 IN DARMSTADT
Lebensgefahr in den Schlachten
felbft beobachtete. Es wäre ein un-
auflöslicher Widerfpruch zwifchen
Leiftung und Bericht, wenn nicht
ein zweiter namhafter Schlachten-
maler, Conrad Geßner, Salomons
Sohn, den Beweis führte, daß man
zwar die Dinge gelegentlich un-
beeinflußt vom Akademiefchema
fah, es aber für untunlich und
wohl unkünftlerifch hielt, fie auch
fo darzuftellen. Conrad Geßner
rühmt in einem der Briefe an feinen
Vater, daß er bei der Beobach-
tung eines Kavallerieangriffs Bour-
guignon und Rugendas vor allem
als wahr empfunden habe.1 Und
doch hängt hier in der Ausftel-
lung ein Bild verfolgender Hufaren
(Abb. 22), frifch in Farbe und Dar-
ftellung, breit und paftos wie ein
Guericault, und gänzlich unkompo-
niert. Es ift der fchlimmfte Fluch
des akademifchen Unterrichts ge-
wefen, daß er den Künftlern das
Vertrauen zur eigenen Beobachtung
nahm. Auch größere Meifter haben
darunter gelitten, und Philipp Otto
Runges beide Faffungen des Unter-
richts der Nachtigall find vielleicht
die fchärffte Anklage diefesSyftems.
Um fo überrafchender wirken drei
Arbeiten eines unbekannten, viel-
leicht bayrifchen Malers, die plötj-
lich aus Meraner Privatbefiß aufgetaucht find (Abb. 23).
Äbb.29. MÄRTIN GOTTLIEB KLÄUER, Sammlung Kippen-
Johann Joachim Chriftoph Bode berg’ Lelpzig
Es find Bilder von Kämpfen
zwifchen Panduren und bayrifcher Kavallerie, wohl alle drei während oder nach dem
erften fchlefifchen Kriege entftanden, ftürmifch bewegt, völlig ohne Beifpiel in der keck
hingehauenen Malerei und der unmittelbar gefehenen Gruppierung. Schon mehr Hiftorien-
bild als eigentliches Schlachtenbild ift der prachtvolle Kampf am Friedberger Tore von
dem Ansbacher Georg Karl Urlaub, ln ihm fleckt etwas ganz Neues, eine Unmittelbar-
keit und eine Einfachheit, ein Mangel an Pathetik und an Routine, endlich eine
Problematik, die an Menzel denken läßt, wenn auch die füßliche Farbe die Herkunft
aus dem Rokoko nicht verleugnet.
Die große Hiftorienmalerei ift auf der Ausflellung fchwächer vertreten. Da in keinem
Zeitalter der Akzent fo fehr auf dem Fresko liegt, fo mußte man fleh in der Haupt-
1 Salomon Geßners Briefwechfel mit feinem Sohne Conrad, Zürich und Bern 1801, S. 133.
(Zitiert bei Gold, J. C. Wilck, Berlin 1912, S. 88.) Daneben nennt er Rubens.
509
Lebensgefahr in den Schlachten
felbft beobachtete. Es wäre ein un-
auflöslicher Widerfpruch zwifchen
Leiftung und Bericht, wenn nicht
ein zweiter namhafter Schlachten-
maler, Conrad Geßner, Salomons
Sohn, den Beweis führte, daß man
zwar die Dinge gelegentlich un-
beeinflußt vom Akademiefchema
fah, es aber für untunlich und
wohl unkünftlerifch hielt, fie auch
fo darzuftellen. Conrad Geßner
rühmt in einem der Briefe an feinen
Vater, daß er bei der Beobach-
tung eines Kavallerieangriffs Bour-
guignon und Rugendas vor allem
als wahr empfunden habe.1 Und
doch hängt hier in der Ausftel-
lung ein Bild verfolgender Hufaren
(Abb. 22), frifch in Farbe und Dar-
ftellung, breit und paftos wie ein
Guericault, und gänzlich unkompo-
niert. Es ift der fchlimmfte Fluch
des akademifchen Unterrichts ge-
wefen, daß er den Künftlern das
Vertrauen zur eigenen Beobachtung
nahm. Auch größere Meifter haben
darunter gelitten, und Philipp Otto
Runges beide Faffungen des Unter-
richts der Nachtigall find vielleicht
die fchärffte Anklage diefesSyftems.
Um fo überrafchender wirken drei
Arbeiten eines unbekannten, viel-
leicht bayrifchen Malers, die plötj-
lich aus Meraner Privatbefiß aufgetaucht find (Abb. 23).
Äbb.29. MÄRTIN GOTTLIEB KLÄUER, Sammlung Kippen-
Johann Joachim Chriftoph Bode berg’ Lelpzig
Es find Bilder von Kämpfen
zwifchen Panduren und bayrifcher Kavallerie, wohl alle drei während oder nach dem
erften fchlefifchen Kriege entftanden, ftürmifch bewegt, völlig ohne Beifpiel in der keck
hingehauenen Malerei und der unmittelbar gefehenen Gruppierung. Schon mehr Hiftorien-
bild als eigentliches Schlachtenbild ift der prachtvolle Kampf am Friedberger Tore von
dem Ansbacher Georg Karl Urlaub, ln ihm fleckt etwas ganz Neues, eine Unmittelbar-
keit und eine Einfachheit, ein Mangel an Pathetik und an Routine, endlich eine
Problematik, die an Menzel denken läßt, wenn auch die füßliche Farbe die Herkunft
aus dem Rokoko nicht verleugnet.
Die große Hiftorienmalerei ift auf der Ausflellung fchwächer vertreten. Da in keinem
Zeitalter der Akzent fo fehr auf dem Fresko liegt, fo mußte man fleh in der Haupt-
1 Salomon Geßners Briefwechfel mit feinem Sohne Conrad, Zürich und Bern 1801, S. 133.
(Zitiert bei Gold, J. C. Wilck, Berlin 1912, S. 88.) Daneben nennt er Rubens.
509