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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Heft 11
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Kuhn, Alfred: Emy Roeder: über das Formproblem der Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0452
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fernung. Da erft entfteßt das Bildwerk. Geifterßaft tauchen diefe nebulofen, un-
körperlicßen (Hefen aus dem Stein empor und fcßeinen zu zerfließen wie fie entftanden.
Da fpürt man nießt die ßarte (Uölbung eines Scßädels oder die Maffigkeit eines Rumpfes,
keine runden Beinfäulen tragen den fcßweren Leib. Und felbft die Bronzewerke
weßren die taftende Fjand ab. Nur in der Diftanz bauen fie fiel) auf, und in den dunkeln
Fjößlen ißrer zerriffenen Fläcßen feßafft das Ließt ein unftetes, erfeßütterndes Leben.
Es ift nießt unintereffant, daß aueß Adolf von Fjildebrand, der klaffiziftifeße Re-
formator, nießt loskam von der gotifeßen (Tradition des Scßni^altares. Seine Einanficßt,
die er fordert, ift die Einanficßt des Scßnitjaltars, ift die Überfüßrung des Kubifcßen
in den Fläcßeneindruck des Bildes. Aber der füdfranzöfifeße Maler Cezanne, in der
alten grieeßifeßen Kolonie, erlebte wieder die Rundßeit. „Man betraeßte die Natur
naeß 3ylinder, Konus und Spßäre“, diefe (Horte fteßen im Eingang der modernen Plaftik.
Jetjt werden die Dinge wieder feft und taftbar. Ein Apfel ift für Cezanne eine ßarte
runde Frucßt, ein Becßer ßat Liefe, ein Menfcß einen Körper, ein Fjaus vier Kanten, die
räumlicß empfunden werden wollen. (Dar die Plaftik malerifcß gewefen, fo wird der
Maler Cezanne plaftifcß. Der Impreffionismus war die Epocße der Malerei. Die neue
3eit, mag man fie nennen wie man will, ift die 3eit der Plaftik. An die Stelle der
Auflöfung der Form ift die Steigerung der Form getreten, an die Stelle des Momen-
tanen, 3ufälligen, an eine einzige Situation Gebundenen, das Dauernde, Überzeitlicße,
das aufs typifeße Reduzierte, an die Stelle der malerifcßen, auf einen ganz beftimmten
Licßteinfall bereeßneten 3erklüftung der Oberfläcße trat ißre Vereinfacßung, die Löfung
von der doeß nur malerifcßen Prinzipien entftammenden Einanficßtsforderung und eine
energifeße Durcßfüßrung des dreidimenfionalen Prinzips, fo daß im wefentlicßen allein
noeß dem Caftfinn entfpringende, nießt aber meßr ausfeßließließ auf Beleucßtung be-
rußende optifeße Empfindungen geweckt werden follen. An die nordifeße Kunft der Ver-
gangenßeit konnte nießt angeknüpft werden. Dies ift gezeigt worden, und die klaffifeße
Antike war ausgefeßöpft in zwei plaftifcßen Regenerationszeiten. So kam man naeß
Ägypten und dem Often. Es find dies natürlicß nießt die einzigen Gründe. Brünftig bietet
der (Heften den erfeßöpften Leib den ewig erneuernden Kräfteftrömen des Oftens. Die
Plaftik aber fand bei ißm die große monumentale Form, die Bejaßung der Maffe und
der Scßwere, Vermeidung jedes Augenblickseindrucks, Ricßtung auf das Rußende, Über-
zeitlicße und Ableßnung jeder Vermengung malerifcßer und plaftifcßer Prinzipien.
So ift es keine (Uillkür, wenn die neuere Plaftik fieß gen Morgen wendet. Man vergleicßt
den Arcßaifierungs- und Exotifierungsprozeß von ßeute gerne mit jenem der Spätantike,
und oft, gleicß Spengler, mit vernießtender Konfequenz; aber mag die Bewegung in ißren
tiefften metapßyfifcßen (Uurzeln jener aueß verwandt fein, für die Plaftik als folcße traf
fieß das ((Jollen der 3eit mit ißrer urinnerften, dem eigenen Gefetj erwaeßfenen Forderung.
Fjoetger! So wie er Kubik erlebte, ßatte man fie in Deutfcßland, wo Maillol nie
reeßt bekannt geworden, noeß nießt gefeßen. Aus den bewußt kraterlofen Geficßtern
feiner Äfiatinnen ift jeder Scßatten gelöfcßt. Ißr Individualleben ift getilgt. Urßaft
menfeßließ. Ewige Mütter und Scßweftern des Lebenden. Es gibt (Herke von ßoetger,
deren erdenferne Ruße der Geift der Veden umweßt. Auf diefer Bafis vollzog fieß die
Erneuerung der Plaftik. Geßt jene der Renaiffance und des Klaffizismus auf die Antike
des 4. Jaßrßunderts zurück, fo erfrifeßt fieß die ßeutige an den Scßöpfungen des 6. Jaßr-
ßunderts, an Ägypten und am Often. (dar aber einmal der Formenzwang der Vor-
bilder überwunden, fo blieb die Erkenntnis des rein taktifeßen Cßarakters aller Plaftik
als unverlierbarer Gewinn zurück und ißr Sinn als Symbol des Überzeitlicßen.
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