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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 10
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Der Graphiksammler
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0457
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Max Slevogt. Segnung zum „Don Juan“.

mit der freien und kühnen Beweglichkeit der
Geftalten auf einen einzigen gefammelten Bild-
eindruck hin. In jeder Figur oder Gruppe wogt
lebendiger Fluß der Bewegung, bald in weit
ausladender Haltung knapp konturiert gefaßt,
bald zu frei gefchwungener Ärabeske umge-
fchmolzen, und in leidenfchaftlicher Äktion be-
wegen fich die Maffen. Älle Formen erfcheinen
in der Dynamik des Bildes als mitwirkende
Kräfte. So fpringen Rampen und Eftraden fchroff
fchräg ins Bild hinein, durch Core und Bogen
eröffnen [ich Durchblicke aus dem Dunklen ins
Helle und aus dem Lichten ins Nächtige, überhaupt
wird das Äuge durch parke Ciefenfpannungen
lebhaft erregt und beftändig überrafcht und oft
auf eine plötzliche Ölendung im Gefchehen wie
mit einem Ruck hingelenkt. Die ganze Bildan-
lage hat viel von der Dynamik des Barockbildes
in [ich.
In diefer feurigen, erregt wogenden Formen-
fprache brauft der glühende Lebensraufch der
Enfembles und des erften Finales vorbei, dring-
liches Beftürmen und dreiftes ölerben verfchlingen
[ich mit trotziger Gegenwehr und wildem, doch
lockendem Sträuben. Äber der höchfte 3auber,
der am leichteften fprühende Rhythmus wird
diefen Blättern von der Bewegtheit des Lichtes
gefpendet. Fjell und dunkel mifchen und trennen
fich unaufhörlich gleichfam unter den Äugen und
diefes Schaufpiel wechfelt mit feinem Farben-
reichtum je nach der Stimmung der Szene. Sind
Linienzug und Maffenbewegung die optifchen
Phänomene, die dem mufikalifchen Rhythmus
entfprechen, fo liegt ja im Fjell und Dunkel ein
romantifches Element, daß das Gefühl erregen
kann wie die Harmonien derCöne. DiePhan-
taftik des Lichtes in Slevogts Blättern hat etwas
ungemein Suggeftives. Die glänzende Kerzen-
helle der Kronleuchter im feftlichen Saale, die
grelle Mittagsglut auf den fonnigen Straßen Se-
villas wechfeln mit dem öleben verfchwiegener

Dämmerung und mitblaffem, geifterhaftem Mond-
licht, das fich durch das Dunkel der Nacht ftiehlt.
Die überfinnliche ölirkung des Mondlichtes fpielt
vor allem über die letzten Szenen hin. Der Kirch-
hof mit dem Grabmal des Komturs ift bis in alle
ölinkel in eigentümliche, unheimliche filberne
Helligkeit getaucht. Die Geftaltung wächft in
den lebten Blättern immer mehr zu monumentaler
Einfachheit und ÖIud)t und erhebt fich fchließlid)
zu tragifhem Pathos, ölie der fteinerne Gaft
fcßwer hereintappt und Don Juan tollkühn und
doch vor Grauen erftarrend, ihm entgegen tau-
melt, wie fich Don Juan unter dem Druck der
eiskalten Hand verzweifelt windet und aufbäumt,
ift von ftärkfter Äusdruckskraft.
Die kleinen Einfchaltbilder find leichter, be-
hender gezeichnet, die meiften find rafd) mit der
Feder hingeworfen und gleichen Randgloffen;
es find geiftreiche, flüchtige Skizzen, in denen
Epifodifches notiert wird, ein Duell mit gut
fixendem Stoß oder ein Gang Don Juans auf
der Fährte neuer Schönen. Reinhold Hoberg
ift dem Federzug diefer Kapriccios mit dünnen
elaftifchen Schnittlinien feines Stichels nachge-
gangen und hat ihnen die federnde Spannkraft
des Slevogtfchen Striches erhalten.
In den großen Blättern wird der Holzftecher
zum vollkommenen Interpreten des Künftlers.
Sein Holzfhnitt, der eineCufchlage in ein Syftem
feiner paralleler Strichzüge faßt, ift als eine Neu-
belebung des fhon totgeglaubten Conholz-
fhnittes von fymptomatifcber Bedeutung. Den
fummarifchen, malerifchen und impulfiven Vor-
trag Slevogts, das genial Improvifierende der
Bilder, die heiße Suggeftion des flackernden
Spieles der Lichter und Schatten und den Reiz
ihrer Farbigkeit bringt feine glänzende Cechnik
erft voll zur Geltung; wunderbar vermittelt fie
die Übergänge der Conwerte vom hellften Dis-
kant des Lichtes im Kerzenflimmern oder im
Mondfehein bis zum tiefen Summen der Schatten,

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