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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Wolfradt, Willi: Einige Federzeichnungen Johann Christian Reinharts
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0110
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wie die glückliche Befd)loffenl)eit füdlicher Natur weniger aus dem Motiv als aus der
Formgebung heraus za gültigem Ausdruck brachte, mechanifierte fiel) und fand nur
noch feiten ein urfprüngliches (Hort. Das erfte römifche Jahrzehnt ift die ftärkfte 3ed
Reinharts, der auch jene 1799 zu Nürnberg erfd)ienene, gemeinfam mit Dies und
Mechau beftrittene Folge radierter italienifcher Änfichten zugehört, aus der \)ier als
Folie eine abgebildet wird (Abb. 1).
Die 3eicl)nungen nämlich, von denen an diefer Stelle insbefondere die Rede fein
foll, gehören offenbar einer früheren Stufe im Schaffen Reinharts an. Mit mehreren
anderen gleichen Formats und völlig gleicher Faktur kürzlich Im Kunfthandel gefunden,
laffen fie trofe fehlender Signatur keinerlei 3weifel an der Äutorfd)aft Reinharts, und
zwar müffen fie etwa dem Jahre 1789 gegeben werden, alfo dem 3ekpunkt, zu dem
Reinhart Meiningen mit Rom vertaufchte. Bei diefer Datierung gibt das Vorkommen
von Architekturen füdlichen Gepräges, zumal von fd)lanken vierkantigen Campaniles
und plaftifch ftark betonten zylindrifchen Bauteilen den Ausfd)lag, die in der römifchen
3eit zum feften Motivfcha^ des Künftlers gehören (vgl. Abb. 1). Davon abgefetjen
würde 1787 oder 1788 plaufibler fein, denn die Landfchaft felbft mutet viel eher
mitteldeutfch an, ift in der Auffaffung noch recht unidealifd) und unrömifch und deut-
lich in Abhängigkeit von holländifchem Vorbild. Die Übereinftimmung mit einer, ebenfalls
weder datierten noch fignierten Federzeichnung aus dem Befi^ der Münchner graphi-
fd)en Sammlung (Abb. 2) ift weitgehend. Die Rolle der erft an der Krone belaubten
Stämme, ihre geneigte Stellung, ihre Situation in Randnähe und in der Bildmitte, die
feltfam tigrige Fleckung, die zumal an den Anfatjftellen von Äften einen dunklen Ring
um den Stamm zu legen liebt, aber nicht minder die Bildung des Aftwerks bezeugt
die gleiche Band. Der Baum vorn rechts auf Abb. 3 zeigt mit dem entlaubten Baum
des abgebildeten Münchner Stückes weiteftgehende Verwandtfchaft des linearen Ver-
laufs, der Abfpreizung, der Art des Greifens. Auf 4 und 5 ift der knubbige Stumpf
wiederzufinden, und zwar geht die Übereinftimmung bis in Details wie kleine, abge-
ftorbene 3weiglein. So wäre fuazuweifen auf den Anteil wiefiger Fläche, das breite
Licht darauf, auf das Gegenfpiel einzeln fprechender, freier Stämme vorn und locker
geballten, kuglig gedoldeten Laubwerks \)ier wie dort; weiter dann auf die Behandlung
des dunklen Vordergrundftreifens, insbefondere des immer wiederkehrenden Sd)ilfgrafes,
das fich mit hellen Lanzetten gegen Dunkel ftellt und fid) mit einer eigentümlich nicken-
den Bewegung zur Erde biegt. Gegenüber einer Menge foldjer Momente der Über-
einftimmung zwifdtjen den Münchener Blättern (es gehört zu dem abgebildeten noch
ein zweites) und den jetjt gefundenen fallen gewiffe ünterfd)iede, z. B. in der Be-
handlung des Bimmels, um fo weniger ins Gewicht, als Reinharts ÜUerk auch zu folctjen
Abweichungen Parallelen nicht verfagt.
Das ganz Charakteriftifche für Reinhart ift die Behandlung des Baumfd)lags und
Laubes, wie fie t)ier insbefondere bei den maffigen Anordnungen im Mittelgründe
hervortritt. Faft wie weiche Badefd)wämme oder Sd)neeballblüten geformte runde
poröfe Cuffs von taufendteiligem Blattwerk fcharen fich zufammen und bilden fanft
gedrängte Gruppen und pompöfe Lagerungen vegetabilifchen Gewölks, dem ein gol-
diges Lid)t nod) eine erhöhte Schwellung und wieder eine lyrifd)e Verfponnenheit ver-
leiht. Das Lineare des Baums kommt gegenüber dem kubifdjen (Bert kaum zur Gel-
tung. Diefe fchwankend geballte Maffe ift anmutig gegliedert und wird zum Bukett
vieler rundlicher Sträußlein, durch die und über die es fonnig riefelt. Eigentümlich ift
vor allem die innere Kontinuität und die Allfeitigkeit diefer Laubkörper. Auch kleine
Büfd)e bekommen das Gepräge von Blütendolden und traubigen Köpfen. Gerade dies
üraubenhafte tritt nach 1789 deutlicher in Erfcheinung, indem der Lid)taufprall fchärfer,
die Plaftizität fefter und fo die beerenartigen Differenzierungen des Gefamten kräftiger
betont werden. Es hängt dies eben mit der zunehmenden Pathetik und körperlichen
Organifation des rörnifchen Stils unferes Künftlers zufammen. Das Laub fd)ließt fich

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