Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI article:
Schenk zu Schweinsberg, Eberhard: Bemerkungen zu "M.D. Henkel, De Houtsneden van Mansions Ovide moralisé Bruges 1484"
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0346
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Studien und Forfdjungen

Ceil der Ovidholzfchnitte ipt mehr oder minder
frei nad) den Miniaturen einer jetjt in Kopen-
hagen (kgl. Bibliothek) verwahrten, etwa gleich-
zeitigen flämifchen Handfchrift kopiert. Einige
Abbildungen ermöglichen die Nachprüfung, laffen
allerdings auch bedauern, daß die Aufnahme
einer vollftändigen Reihe der inhaltlich überein-
ftimmenden Miniaturen nicht möglich war. Für
die Beurteilung der grundfalschen Verfcßieden-
heiten zwifchen Miniatur und 5°izrd)nitt hätte
man dabei gewiß gewonnen, vermutlich aber
auch für eine Reihe anderer die Verteilung von
Erfindung und Ausführung betreffender Fragen,
die noch offen ftehen. Müffen wir z. B. zwifchen
Miniator und Fjolzfchneider noch einen über-
tragenden 3eicbner annehmen? tlnd ift die Er-
findung der nicht von Miniaturen abhängigen
Schnitte demQolzfchneider zuzutrauen oder nicht?
Damit hängt die Frage nach der Einheitlichkeit
diefer Ovidilluftrationen überhaupt zufammen.
Henkel weift auf die Möglichkeit hin, daß auch
für den Reft der Holzfchnitte Miniaturvorlagen
vorhanden gewefen find und pd) noch finden
werden, ttlenigßens für einen davon kann man
die Verwendung eines fremden Vorbildes wohl
mit Sicherheit erfd)ließen: im Hintergrund des
Pyramus und Chisbe-Blattes (Abb.l)1 hat offen-
bar der Holzfchneider die Stadtanficht felbft an-
gefügt, ohne den Anfdjluß an die fertig über-
nommene übrige Kompoßtion zu finden. Hier
ift alfo auch die Tätigkeit eines befonderen
Zeichners durchaus unwahrfcheinlid). Mitdiefem
Blatt ift die darauffolgende Entführung der Pro-
ferpina eng verwandt, ünd zwar kompoptionell
und in den Cypen, fo daß wir die gleiche Hand
für die beiden Vorbilder annehmen müffen.
Die Entftehungsart diefer zwei Blätter ent-
fpricht alfo derjenigen der übrigen, für die Henkel
Vorbilder fcbon nachgewiefen hat. Eine grund-
fählicpe Verfchiedenheit glaube ich dagegen für
zwei andere große Holzschnitte der Folge er-
fchließen zu können. Es find dies „Minos und
Scylla“ und „Die Gründung von Crothona“, die
Blätter X und XVII der Veröffentlichung.
Ihre 3nfammengehörigkeit untereinander be-
weift fcpon der von allen übrigen abweichende
grapbifcbe Eindrude: Das ttleiß fammelt pet) in
größeren Flächen, es tritt in Cüed) Tel Wirkung
mit den ßärker zufammengefaßten Schraffuren
der Modellierung, die Blätter atmen dadurch viel
intenfiver. In ihrer Anwendung auf die Einzel-
pgur dient diefe rationellere Schwarzweißtechnik
körperlich-plaftifcher (üirkung, im 3ufammen-

1 Die Abbildungen (1—3) in etwa */s der Originalgröße
find nad) dem Exemplar der erften Ausgabe in der Landes-
bibliotbek zu Rudolftadt ßergeftellt. Diefes enthält mit
Ausnahme des belchädigten Citelblattes ausgezeichnete
fcharfe Drucke. Nad) Rudolftadt ift der Band mit der
Bibliothek des aus ttleftfalen flammenden fdßwarzburgi-
fchen Minifters Carl Gerd von Ketelhodt um 1800 ge-
kommen.

hang mit anderen Kompoptions- und Darßel-
lungsmitteln läßt pe fogar eine Art freiräumlichen
Eindrucks entftehen. Solche Mittel ßnd: die An-
ordnung der Kompoption auf einer Grundriß-
kurve, die das eine Mal (Abb. 2) aus dem Hinter-
grund heraus zum vorderen Bildrand führt und
dann wieder zurückbiegt, das andere Mal etwa
in umgekehrter Reihenfolge den Raum durch-
läuft; die Überfdjneidung — befonders deutlich
bei den Kriegern des Minos vor und hinter dem
3elt und ihrer Fortfetjung durch halbverdeckte
3elte und lüaffen hinter einer Bodenwelle —
und fchließlich die Anwendung von Sdjlag-
fchatten, hauptfächlich bei der „Gründung von
Crotona“ aber auch vereinzelt — am Fuß des
Minos — auf dem anderen Blatt. Auch in Klei-
nigkeiten wie der 3eid)nung des fflegrandes
durch Schrafperungsftreifen ftatt durch Linien
(Abb. 2) und der Belebung des Grundes durch
verftreute Steinbrocken (Abb. 2 und 3) ftatt durch
rein ßächenhafte Füllblumen zeigt pd) die gleiche
Abpd)t auf Raumwirkung.
An die Stelle einer überwiegend handwerklich
bedingten tlmgeßaltung eines fremden Vorbildes
tritt hier beßimmt gerichteter künftlerifcher (Hille.
In der Erzählung ip das Verfahren der übrigen
Blätter ein addierendes, hier ßnd ßatt deßen die
Einzelzüge einer Haupthandlung untergeordnet.
Deren fachlicher Gehalt iß teils nicht allgemein
geläupg, teils nicht ausreichend beßimmt, er fei
daher kurz umfehrieben (Abb.2): Minos belagert
die Hauptftadt des Nyfos. Deßen Cochter Scylla
verliebt pd) in den ritterlichen Gegner ihres
Vaters. Da pe keinen anderen ttleg ßeht, zu
einer Vereinigung mit Minos zu kommen, er-
mordet pe ihren Vater — ßehe die kleine Dar-
ßeliung im Hintergrund — und bringt deßen ab-
gefd)lagenes Haupt dem Minos als Friedens-
und Liebespfand. „Quant le noble roy minos
qui droitturier et iusticier estoit veit le cheveil
du noble et puißant roy invincible quelle lui
donnoit, il eut grant horreur de la inhumanitö
et trayson de eile“. — Diefes Aufeinandertreßen
verführerifcher Bitte und ßolzen Abfcbeus iß
nicht dramatifd), fondern eher pfychologifd) mo-
tivierend dargeßellt. Die Blicke der Beiden be-
gegnen pd) nicht, pe fucht wohl den feinen,
aber ihn feßaudert vor der Verbrecherin, die
ihm leichten Sieg bringt; nur über die Schulter
wendet er den Kopf nad) ihrer Seite, den Arm
zieht er an pd), als feßeue er die ganze Atmo-
fphäre diefer Rafenden. Auf Minos Seite kommt
als ßeigernder Gegenfag die roh-gleichmütige
Phyfiognomie und Haltung des vorderßen Krie-
gers dazu. Deßen Blick auf die H'atergrunds-
epifode fd)aßt eine neue inhaltliche und räum-
liche Bindung. Die oben erwähnte Grundriß-
kurve dient zugleich der Erzählung als Gleis.
Hierin ftimmt das zweite Blatt überein. Seine
Darftellung ift als Gründung von Crothona wohl
oid)t ausreichend befchrieben: Das Bud), an

322
 
Annotationen