Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

DOI article:
Basler, Adolphe: Pariser Chronik
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.41564#0627
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
wie ein Arbeiter mein Brot verdienen!“ Aber diefer Befcßeidene hat Proben von Calent
gegeben, während Streber, losgelaffene Kitfcßmaler, die aus den offiziellen und ßalb-
offiziellen Salons entwifd)t find und fid) fcßmeicßeln, eine Art unabhängiger Malerei
zu üben, Ruhm und Erfolg ernten. Man trifft unter diefen Scßmarohern welche, die
alles ftehlen, die rechts und links plündern, fid) überall Geltung verfchaffen und unver-
froren verkünden: „6Uir find die Modernften!“ Darum überwiegen auf dem Mont-
parnaffe und anderwärts die Pfeudo-Kubiften, die fcßlecßten humoriftifcßen 3eid)ner,
die die Gewohnheiten Picaffos angenommen haben und die neuen Adepten Bougueraus,
die fiel) aus abgerutfehten Kubiften rekrutieren.
Aber es gibt noch andre Maler und Bildhauer, die die franzöfifeße Kunft lebendig er-
halten und andres machen als Erfafe für Matiffe, Derain, Picaffo oder Segonzac. Ulenn
uns der „Salon des Independants“, eine fchon ftark alternde Einrichtung, auch die fchöne
Entwicklung von Malern wie Marchand, Gromaire, Luc Albert Moreau, Loti-
ron und Bouffingault zeigt, welch fd)limmfter Mache begegnet man doch trotjdem
auch dort! Man beftiehlt Daumier, der Mode ift, man pofiert ä la Corot, ohne eine
Spur natürlichen Gefchmacks. Das ift ein Übel, das im Gefolge einer großen Epoche
aufzutreten fcheint, die Genies wie Renoir, Cezanne, Rodin, van Gogh, Seurat aufzu-
weifen hat. Diefe aber vermochten durch tiefgehendes Studium der Natur das Fjöcßfte
zu erreichen.
Erfreulich ift es zu fel)en, wie der Sinn für die Fjandzeicßnung wächft. Die Galerie
Balzac hat uns erft eine Ausftellung von Fjandzeichnungen des 15.—17. Jahrhunderts
befchert und zeigt nun eine folche von Meiftern des 19. Jahrhunderts bis zu Manet.
Man hätte dort gern eine reichlichere Anzahl 3eid)nungen von Gericault gefehen,
deffen grandiofes Litßograpßien-illerk Le Garrec ausftellte; aber die kleine Sammlung
3eichnungen von Daumier, Ingres, David und Corot gehört zu den beften der
Art. Cüie eitel fcheinen uns heute die Streitigkeiten der Klaffiker und Romantiker, die
einander Mangel an 3eid)nenkönnen vorwarfen, Und wie lehrreich bleiben in diefer
Fjinficßt die Schriften des großen Kunftkritikers Chore. Er fagt in feinem Salon von
1846: „Man fagte von Prud’hon, daß er leider nicht habe zeichnen können. Es ift
wahr, er zeichnete nicht wie feine Gegner. Sein Vorgehen ift völlig anders und das
Ergebnis feßr viel beffer. (Uäl)rend die Schule Davids die äußere Erfcßeinung zeich-
nete und glaubte, die Form einer Figur zu haben, wenn fie ißre geometrifeße Linie
und gewiffermaßen die Grenzen oßne die innere lüirklicßkeit hatte, begann er gewöhn-
lich mit den großen Licßtfläcßen, mit der pofitiven Geftaltung der Form.“ Aber geßt
diefer Streit nicht heute noch weiter? Man betrachte die Ausftellung der „peintres gra-
veurs independants“ bei Barbazanges, wo die bedeutendften Graphiker von heute aus-
ftellen: den Unterfcßied zwifeßen der zeießnerifeßen Auffaffung einerfeits eines Bouffi-
gault, Coubine und Picasso, andrerfeits eines Chagall, Pascin oder Segonzac.
Es gibt die Auffaffung der alten italienifcßen und deutfeßen Meifter, die mit der der
Franzofen des 16. Jahrhunderts fowie mit der von David und Ingres übereinftimmt,
und es gibt eine zweite, nämlich die Rembrandts und aller Maler feit Delacroix bis zu
den Impreffioniften und ißren heutigen Nachfolgern, die fid) weniger um die Geftaltung
der Umriffe bemühen als darum, die Formen durcß das Ließt zu modellieren. Das
17. und befonders das 18. Jaßrßundert zogen feßon die freie, fkizzenßafte 3eid)n\mg,
wie fie die Kunftlexika jener 3^it nannte, den linearen, fertigen Segnungen vor.
Ulir lefen in einem diefer Fjandbücßer: „Die 3eichnu*ngen, die nur leicßt ßingeworfen
find (ßeurtes), gefallen ftets meßr als die ausgeführten (finis), weil fie die FJandfcßrift
erkennen laffen, deren fid) gefeßiekte Künftler bedienen, um mit wenigen Strießen die
Dinge zu cßarakterifieren. Es gibt folcße 3eicßnungen, die wie ein Bild wirken, und
in denen eine gefeßiekte FJand die Kunft des Helldunkels anzuwenden und ganz den
Eindruck von Farbigkeit zu geben verftand.“ Aber nichts hindert mich, den erhabenen
Stil einer 3eicßnung Pifanellos ebenfo zu lieben wie die zauberhafte Skizze eines Rem-
603
 
Annotationen