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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 16.1924

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Mayer, August Liebmann: Die Kathedrale von Toledo
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https://doi.org/10.11588/diglit.41564#1198
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individualiftifcßen Spätgotik, die auf die Sd)önßeit des Gefamtgrundriffes keine Rück-
ficht meßr naßm. Hir geben hier eine Anfict)t des Inneren der Santiagokapelle wieder,
die angeblich eine Stiftung des 1453 in Valladolid hingericßteten Minifters Grafen Al-
varo de Luna fein [oll, jedenfalls von feiner Cocßter Da. Maria, die mit dem Fjerzog
von Infantado aus dem Gefcßlecßt der Mendoza verheiratet war, aufs reichte ausge-
fcßmückt worden ift. Es fei hier die Vermutung ausgefprod)en, daß der Bau der Kapelle in
feiner jetzigen Form auf diefe kunftfinnige Dame zurückzuführen ift, ja noch mehr: man
wird fcßwerlich fehl gehen, wenn man als Architekten Juan Guas nennt, den Baumeifter
der katholifchen Könige, der auch das Schloß des herzoglichen Paares Infantado-Luna
im Manzanares el Real gefchaffen hat. Die Dekoration diefer glanzvollen fpätgotifchen
Kapelle weift nicht nur an den großen Handflächen oben die Pilgermufchel als vor-
nehmftes Motiv auf, fondern die Mufchel hat auch bei der ganz durchbrochenen Ein-
gangswand Verwendung gefunden. Die marmornen Grabmäler inmitten der Kapelle
find ein Herk des Pablo Ortiz (1488) der allem Anfcßein nach in engfter Fühlung mit
Juan Guas ftarid. * *
3u den älteften ßguralen Plaftiken, womit die Kathedrale gefchmückt wurde, ge-
hören die großen Figuren am nördlichen Querfchiffportal, die in der FJauptfache das
Cßema der Anbetung der Könige behandeln. An der linken Portalwange finden wir
die Geftalten der hl- drei Könige und den Diener, der die drei Roffe hält; auf der
rechten Seite könnte man die dem Eingang am nächften ftehende Figur als hl- Jofeph
deuten, während die beiden folgenden Frauengeftalten nicht leicht mit der Epiphanie
zu vereinen pnd. Die nächftliegende Erklärung für fie ift, daß hier die hl- Jungfrau
und die hl- Elifabeth der „Fjeimfucßung“ dargeftellt find. Alle zur Epiphaniasgruppe ge-
hörenden' Geftalten find über den Raum hinweg auf die ftehende Madonna an der
mittleren Portalftütje bezogen, die erheblich höher als alle anderen Figuren angebracht
ift. Leider wird die urfprüngliche Hirkung der Skulpturen dadurch ftark beeinträchtigt,
daß das ganze Portal mit einer weißen Farbe überfcßmiert ift.
Betrachtet man die einzelnen Figuren etwas näher, fo fällt ihre enge Beziehung zu
den großen früßgotifcßen Katßedralplaftiken der Isle de France feßr bald auf. Die
beiden Frauengeftalten rechts, wie die drei Könige find wie jene Figuren in Frankreich
leicht idealiperte Geftalten, die höchft lebensvoll find, und bei denen dem Künftler eine
geradezu klaffifcße Verklärung des fid)tlich benutjten Modells gelungen ift. Der Kopf des
knienden Königs wirkt faft wie eine Arbeit der Fjocßrenaiffance, und man ift beinahe ver-
fucht, zu vermuten, daß diefer Kopf von praxitelifcher Schönheit erft nachträglich feine
heutige Form erhielt— freilich kann man fid) keinen Künftler denken, der in fpäterer 3eit
diefe Arbeit ausgeführt hätte. Henn auch die Figuren voneinander ifoliert find, fo hat fid)
dod) der Künftler, vor allem bei der Dreikönigsgruppe, eine Verbindung ßerzuftellen
und für eine fd)on kontinuierliche Abrollung des Bildbandes zu forgen gewußt, fo daß
diefe Freifiguren im bildmäßigem Sinn auf eine ideale Ebene bezogen werden können
Der mittlere König verbindet feine beiden Nachbaren durch feine Drehung zu dem
jüngeren und feine Bewegung in entgegengefehtem Sinn in ebenfo einfacher wie
genialer Heife. Von der neuen, mehr malerifchen Gefamteinftellung des Bildhauers
zeugt gerade das Beftreben, bei diefen drei Königen ftets eine reine Frontalanficl)t zu
vermeiden und durch Sd)rägftellungen, durch Überfd)neidungen lebendig zu wirken.
Immerhin bleiben die Formen noch feßr groß, ernft und gefcßloffen, fo daß man kaum
annehmen darf, daß die Figuren fpäter als zu Ausgang des 13. Jahrhunderts gefchaffen
find, eher möchte man fie noch du wenig mehr zurückdatieren.
Es ift fd)wer denkbar, daß die feeßs Fjauptßguren der Portalwangen nicßt von einem
franzöfifeßen Künftler gefchaffen find. Anders fteßt es mit dem Pferdeknecht. Nicht
nur der lächelnde Kopf wirkt etwas areßaifeßer und derber, fondern auch die frontale
Haltung befitjt etwas primitiveres und man möchte glauben, daß diefe Figur von einem
fpanifeßen Schüler des FJauptmeifters ausgeführt ift.
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