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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 1
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Tietze, Hans: Die Galerie des 19. Jahrhunderts in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0046

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Die Galerie des 19. Jahrhunderts in Wien
Mit acht Abbildungen auf fünf Tafeln Von HANS TIETZE

DIE Entwicklung des musealen Sammelwesens ist in Wien, in der Zeit, als
anderwärts die moderne Ausgestaltung dieses Arbeitsgebietes erfolgte,
durch das Vorhandensein der großen Sammlungen des Hofes bestimmt ge-
wesen. Diese im Laufe der Jahrhunderte zusammengeströmten Schätze waren
einerseits zu reich und großartig, um das Aufkommen gleichwertiger staat-
licher Sammlungen zu ermöglichen, anderseits zu unsystematisch und — ihrem
höfischen Charakter gemäß — zu sehr auf ihrer eigenen Vollkommenheit
(ruhend, um all den Forderungen zu dienen, die eine neue Zeit an derartige
Anstalten stellte. Da diese neuen Forderungen nun zeitweilig mit gebieterischer
Kraft auftraten, so entstanden staatliche Sammlungen, die von Anfang be-
stimmt schienen, hinter den Hofmuseen eine Nachlese zu halten; sie hatten
kein organisches Programm, sondern die Verlegenheitsaufgabe, alles aufzu-
nehmen, was aus irgendwelchen Gründen — z. B. weil es aus Staatsmitteln
erworben worden war — nicht in die Sammlungen des Hofes gelangen sollte.
So hat das „Österreichische Museum für Kunst und Industrie“, aus dem neuen
kunstpädagogischen Interesse der Sechzigerjahre entstanden, in der Folge so
sehr als Universalmuseum des Staates zu dienen gehabt, daß es seine eigent-
liche kunstgewerbliche Aufgabe nicht mit voller Eindringlichkeit erfüllen
konnte; so hat die Österreichische Galerie, in den Frühlingsrauschjahren der
jungen Sezession als „Moderne Galerie“ gegründet, in der Folge ein Programm
zu erfüllen gehabt, dessen Umriß durch die Auslassungen der kaiserlichen
Galerie, gewissermaßen negativ, bestimmt war. Aus dieser Not, Asyl für die
Stiefkinder des Hofes, die moderne Kunst seit Beginn des neunzehnten Jahr-
hunderts und die österreichische Kunst seit jeher, zu sein, hat die Staatsgalerie
eine Tugend zu machen verstanden und ihre zwei Themen, die internationale
Moderne und das nationale Historische, zu einer Einheit verschmolzen, der
jedoch die gesunde Entfaltungsmöglichkeit fehlte. Schon der drückende Raum-
mangel mußte dieser Galerie den Atem abschneiden. Wer die Staatsgalerie
im Unteren Belvedere gekannt hat, weiß, daß sie, zwischen ein System von
Scherwänden eingepfercht, mit ihren Beständen immerfort jonglieren mußte,
um wenigstens einen kleinen Bruchteil ausstellen zu können.
Durch den Umsturz des Jahres igi8 und den damit verknüpften Heimfall der
kaiserlichen Sammlungen an den Staat ist eine neue Organisierung des Wiener
Musealwesens möglich geworden, deren erste Voraussetzung die Verschmel-
zung der bisher verschiedenen Besitzern gehörigen, jetzt einem Eigentümer
zugefallenen Bestände war. Die zweite Voraussetzung, die Behebung der
Raumnot, konnte gerade für die „Österreichische Galerie“ ziemlich ausreichend
geschaffen werden; durch die Zuweisung des Oberen Belvederes hat sie Raum,
durch die Abgrenzung ihres Arbeitsgebietes gegen das anderer Museen ein
klares Programm, durch die Rückwirkung dieses Programms auf die Ver-
gangenheit ein reiches und systematisch zusammengehöriges Material erhal-
ten. Die Aufgabe der „Österreichischen Galerie“ ist durch ihren neuen Titel
umschrieben; zum Unterschiede von den Bilder- und Skulpturensammlungen
des kunsthistorischen Museums, die das künstlerische Erbe der Vergangenheit
international und historisch darzustellen trachten, will sie zusammenfassen,
was für das künstlerische Leben Österreichs von unmittelbarer Bedeutung ist.
Daraus ergibt sich eine Dreigliederung ihres Stoffs, die auch in dessen Unter-,
bringung in drei verschiedenen Gebäuden — die alle zum Komplex des Bel-

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