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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 2
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Frentzel, Otto Erwin: Zur Entwicklung des deutschen Silbergefäßes im 16. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0095
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Zur Entwicklung des deutschen
Silbergefäßes im 16. Jahrhundert1
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln Von OTTO ERWIN FRENTZEL

DAS 16. Jahrhundert, wie kaum eine Zeit für das Gefäß interessiert, hat den
Pokal mit ganz besonderer Liebe gepflegt. Die Bemühungen galten vor-
nehmlich dem großen Prunkpokal bzw. Willkomm. Dürer, Holbein, Altdorfer
und zahlreiche Ornamentstecher2 haben Entwürfe beigesteuert. Daneben
haben sich ausgeführte Stücke dieser Art verhältnismäßig zahlreich erhalten.
So läßt sich die Entwicklung des 16. Jahrhunderts gut am Pokal verfolgen.
Die Größe solcher Prunkpokale war schon im 15. Jahrhundert erheblich und
steigerte sich im Verlauf des Jahrhunderts bis zur Mannshöhe3.
Die Form, die zur Zeit der Jahrhundertwende herrscht, repräsentiert gut
der Landsknechtspokal des Lüneburger Ratsschatzes von 1591 (Abb. 1). Im
ersten Drittel des 16. Jahrhunderts entwickelt sich allmählich ein neuer Typ.
In den Radierungen Altdorfers4, die als direkte Werkvorlagen gedacht sind,
erreicht die Form ihre klassische Gestalt. Erhalten sind nur vereinzelte Stücke.
Dazu gehören vornehmlich einige Pokale des ehemaligen Lüneburger Rats-
schatzes, von denen z. B. ein 1537 gestiftetes Stück (Abb. 3) aufs engste mit
den Altdorfer Entwürfen zusammengeht.
Der Vergleich mit Früherem (Abb. 1 u. 2) ergibt zunächst eine auffallende
Veränderung in der Silhouette der Cuppa. Der Umriß gotischer Pokale bildet,
im ganzen gesehen, ein ausgesprochenes Dreieck, dessen Grundlinie der flach-
horizontale Deckel darstellt. Dieser steil aufklaffende Dreiecksumriß, dieses
straffe Aufwärts ist von unten her gewachsen durch gotische Vertikalkräfte.
Dagegen ist die Silhouette 1537 ungefähr kugelig. Der größte Durchmesser
liegt jetzt ungefähr in der Mitte. Aus steilem Aufklaffen wird rundes Sichzu-
sammenschließen.
Nicht mehr durchpulst von gotischem Vertikalismus verliert der Kelch das
einheitlich Gewachsene und gliedert sich durch. Die leichte Einschnürung
des gotischen Pokals, auf die man nachdrücklich hingewiesen hat5, ist mehr
Verbindung als Trennung. Jetzt wird daraus eine schmale Einziehung mit
starkgliedernder Funktion. Der Lippenrand, früher vollkommen dem Gesamt-
umriß eingefügt, trennt jetzt Deckel und Pokal. Gliedernder Horizontalismus
schafft so einzelne übereinanderliegende Schichten.
1 Der vorliegende Aufsatz gibt einen kurzen Auszug aus meiner Dissertation: Die Ent-
wicklung des deutschen Silbergefäßes 1500—1800. I. Teil: das 16. Jahrhundert. Rostock
1924. Referent: Max Hauttmann.
2 Vgl. hierzu vornehmlich Peter Jessen: Der Ornamentstich, Berlin ig2o, und Katalog
der Ornamentstichsammlung des Kunstgewerbemuseums zu Berlin, Leipzig 1894 (Neu-
auflage in Vorbereitung).
3 Eine Zeichnung aus der Moreswerkstatt in Hamburg aus der Zeit 1590/1606, jetzt im
Besitz der Staatlichen Kunstbibliothek Berlin, stellt einen Pokal dar, der „eines Mannes
lengede oder Hoechte“ gewesen ist. Nach der in natürlicher Größe hergestellren Zeich-
nung war der Pokal rund 170cm groß. Die größten erhaltenen Stücke von 142cm (R23i75f)
befinden sich im Kreml. Vgl. Filimonoff und Paulinow, Beschreibung der Moskauer
Waffenkammer 1884/93, bzw. F.R. Martin: Schwedische Königliche Geschenke an rus-
sische Zaren 1647/99, Silberschätze in der Kaiserlichen Schatzkammer zu Moskau. Stock-
holm igoo, Tafel 1.
4 Abbildung: Meister der Graphik, Bd. III.
5 Vgl. Alfred Lichtwark: Der Ornamentstich der deutschen Frührenaissance, Berlin 1888.
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