Feuerbachs Bildnis der Giacinta Neri
Mit einer farbigen Tafel Von GEORG BIERMANN
DAS hier in den Farben des Originals wiedergegebene Bildnis Anselm
Feuerbachs, dem ersten Jahre seines römischen Aufenthaltes entstam-
mend (1857), gehört nicht nur zu den bedeutendsten Arbeiten des Deutsch-
Römers, sondern war bis vor kurzem noch völlig unbekannt geblieben. Daß
der Feuerbach-Band der „Klassiker der Kunst“ dieses Porträt wie so vieles
andere, das seither aufgetaucht ist, mit keiner Zeile erwähnt, nimmt um so
mehr wunder, als der Künstler selbst in einem Briefe vom Ende des Jahres 1857
mitteilt, daß er das Porträt „des schönsten Kindes in Rom, der kleinen Giacinta
Neri, in einer grünen Laube mit Federhütchen, ganze Figur“ gemalt habe und
ausdrücklich dieses Bild „die Frucht meines schönen neuen Ateliers“ genannt
hat. Auch hat gerade dieses Porträt einen bedeutsamen historischen Stamm-
baum, da es Feuerbach für wert gehalten hatte, seine Kunst zusammen mit
dem „Kinderständchen“, dem Dantebild und einer Landschaft auf der römi-
schen Ausstellung des nächsten Jahres zu vertreten. Wie sehr aber die Ge-
danken des Malers an diesem Bildnis haften geblieben sind, beweist die Tat-
sache, daß Feuerbach 1866 zum Abschied noch einmal die Familie Neri be-
sucht und seiner Mutter über die kleine Giacinta wie folgt berichtet: „Das Kind
ist herangewachsen und ebenso schön. Ich frug, wie lange es her ist, daß ich
das Bild gemalt — acht Jahre! Es fällt in die Dantezeit!“ (Allgeyer II. Band,
S. 42.)
Gestützt auf solche Quellenhinweise, ist es der zielbewußten Energie Karl
Haberstocks in der Tat gelungen, das Bild nicht nur in der Familie der Dar-
gestellten ausfindig zu machen, sondern auch nach Deutschland zu bringen
und als eines der reinsten Dokumente Feuerbachscher Kunst aus der Frühzeit
seines römischen Aufenthaltes dem Besitz der deutschen Kunstgeschichte zu
sichern.
Daß gerade in diesem Werk des Malers ganze Jugend bis auf die letzten Aus-
flüsse der Couture-Schule deutlich greifbar ist, macht die Arbeit doppelt
liebenswert. Daneben aber scheint doch bereits der erste Hauch römischer
Erde und einer gewissen Überlieferung des Deutsch-Römertums jene Wen-
dung zu dem späteren römischen Feuerbach anzudeuten, so daß man gerade
dieses Bildnis der kleinen Giacinta Neri auf den Schnittpunkt einer Entwick-
lung im Leben des Malers ansetzen möchte, der deutlich die erste Periode
Feuerbachs von seiner römischen Epoche scheidet. Vor dem reizvoll leichten
Klang des Ambiente, das durchaus noch an die Schule des Franzosen erinnert,
sitzt die rotblonde kleine Römerin wie die erste klassisch empfundene Ver-
körperung eines lebendigen Menschen, der bei aller Kindlichkeit im Ausdruck,
im Gefühl des Künstlers bereits das römische Frauenideal Feuerbachs voraus-
deutet. Rein malerisch ist dabei — was heutige Augen schwer wahr haben
möchten — dies Porträt unerhört kühn. Wie das nicht ganz leichte Rosa des
Kleides mit dem Braungelb des Mantels zusammengeht und wie andererseits
diese beiden dominierenden Farbenakkorde ihrerseits den grünblau-weiß ge-
sättigten Hintergrund der Laube mit in die Gesamtharmonie des Bildes hinein-
zwingen, das deutet auf ein malerisches Auge hin, dem letzte Erfüllung unter
nachfolgenden anderen Eindrücken leider versagt geblieben ist.
Gerade ein derartiges Bild aber stellt wie von ungefähr das im Letzten sicher
tragische Feuerbach-Problem (das nie den Menschen, sondern nur den Künst-
291
Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 6
15
Mit einer farbigen Tafel Von GEORG BIERMANN
DAS hier in den Farben des Originals wiedergegebene Bildnis Anselm
Feuerbachs, dem ersten Jahre seines römischen Aufenthaltes entstam-
mend (1857), gehört nicht nur zu den bedeutendsten Arbeiten des Deutsch-
Römers, sondern war bis vor kurzem noch völlig unbekannt geblieben. Daß
der Feuerbach-Band der „Klassiker der Kunst“ dieses Porträt wie so vieles
andere, das seither aufgetaucht ist, mit keiner Zeile erwähnt, nimmt um so
mehr wunder, als der Künstler selbst in einem Briefe vom Ende des Jahres 1857
mitteilt, daß er das Porträt „des schönsten Kindes in Rom, der kleinen Giacinta
Neri, in einer grünen Laube mit Federhütchen, ganze Figur“ gemalt habe und
ausdrücklich dieses Bild „die Frucht meines schönen neuen Ateliers“ genannt
hat. Auch hat gerade dieses Porträt einen bedeutsamen historischen Stamm-
baum, da es Feuerbach für wert gehalten hatte, seine Kunst zusammen mit
dem „Kinderständchen“, dem Dantebild und einer Landschaft auf der römi-
schen Ausstellung des nächsten Jahres zu vertreten. Wie sehr aber die Ge-
danken des Malers an diesem Bildnis haften geblieben sind, beweist die Tat-
sache, daß Feuerbach 1866 zum Abschied noch einmal die Familie Neri be-
sucht und seiner Mutter über die kleine Giacinta wie folgt berichtet: „Das Kind
ist herangewachsen und ebenso schön. Ich frug, wie lange es her ist, daß ich
das Bild gemalt — acht Jahre! Es fällt in die Dantezeit!“ (Allgeyer II. Band,
S. 42.)
Gestützt auf solche Quellenhinweise, ist es der zielbewußten Energie Karl
Haberstocks in der Tat gelungen, das Bild nicht nur in der Familie der Dar-
gestellten ausfindig zu machen, sondern auch nach Deutschland zu bringen
und als eines der reinsten Dokumente Feuerbachscher Kunst aus der Frühzeit
seines römischen Aufenthaltes dem Besitz der deutschen Kunstgeschichte zu
sichern.
Daß gerade in diesem Werk des Malers ganze Jugend bis auf die letzten Aus-
flüsse der Couture-Schule deutlich greifbar ist, macht die Arbeit doppelt
liebenswert. Daneben aber scheint doch bereits der erste Hauch römischer
Erde und einer gewissen Überlieferung des Deutsch-Römertums jene Wen-
dung zu dem späteren römischen Feuerbach anzudeuten, so daß man gerade
dieses Bildnis der kleinen Giacinta Neri auf den Schnittpunkt einer Entwick-
lung im Leben des Malers ansetzen möchte, der deutlich die erste Periode
Feuerbachs von seiner römischen Epoche scheidet. Vor dem reizvoll leichten
Klang des Ambiente, das durchaus noch an die Schule des Franzosen erinnert,
sitzt die rotblonde kleine Römerin wie die erste klassisch empfundene Ver-
körperung eines lebendigen Menschen, der bei aller Kindlichkeit im Ausdruck,
im Gefühl des Künstlers bereits das römische Frauenideal Feuerbachs voraus-
deutet. Rein malerisch ist dabei — was heutige Augen schwer wahr haben
möchten — dies Porträt unerhört kühn. Wie das nicht ganz leichte Rosa des
Kleides mit dem Braungelb des Mantels zusammengeht und wie andererseits
diese beiden dominierenden Farbenakkorde ihrerseits den grünblau-weiß ge-
sättigten Hintergrund der Laube mit in die Gesamtharmonie des Bildes hinein-
zwingen, das deutet auf ein malerisches Auge hin, dem letzte Erfüllung unter
nachfolgenden anderen Eindrücken leider versagt geblieben ist.
Gerade ein derartiges Bild aber stellt wie von ungefähr das im Letzten sicher
tragische Feuerbach-Problem (das nie den Menschen, sondern nur den Künst-
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Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 6
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