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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 15
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Schwabacher, Sascha: Die internationale Ausstellung für Kunst und Gewerbe in Paris 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0777

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im Grand Palais, in der Teppiche, Tücher, Kissen mit futuristischen Mustern
in heftigen Farben ausgelegt sind.
Polen krönt die Mitte seines rechteckigen Pavillons durch eine dreistöckige
Glaspyramide aus rombischen Prismen, was nicht hindert, daß die seit-
liche Hauptfront mit schwerem, eisernem, schwarzem Tor neben kahler,
getünchter Mauer den Eindruck einer modernen Grabkapelle macht. Aber
während dieser Bau noch erträglich ist, sind die ausgestellten, überladenen
Möbel auf der Esplanade des Invalides Musterbeispiele für völlige Willkür,
Gedankenlosigkeit und Originalitätssucht. Pazaurek könnte ein neues Museum
mit ihnen gründen, um den Verfall des Geschmacks zu demonstrieren.
Belgien ist weniger sündhaft. Sein dreiteiliger, stufenförmig aufgetreppter
Bau mit Vordertrakt und kleiner Goldkuppel ist im Stile des jungen Wiener
Otto Wagner repräsentativ, wenn auch unoriginell; die Reliefs sind wie aus
geknetetem Kuchenteig.
Hingegen zeichnet sich Schweden durch vornehme Zurückhaltung sowohl
in seinem Bau (schlichte, unverzierte Seitenfassade mit schlanken, hohen
Fenstern, seitlich archaisierender Vorbau mit symmetrisch aufgestellten,
ionischen Säulen und bemaltem Hintergrund) und seinen gediegenen Zimmer-,
einrichtungen auf der Esplanade des Invalides aus, die nur wenige Ent-
gleisungen zeigen.
Jugoslavien verblüfft durch sein dreischiffiges Vestibül in großen, einfachen
Proportionen mit guten Glasgemälden an den Wänden und zwei Lampen-
trägerinnen aus der Mestrovic-Schule.
Dänemarks kubischer Backsteinbau verdient noch Erwähnung, zumal der
Innenraum durch seine Helligkeit und seine heitere Bemalung von Mogens
Lorentzen eine eigene Note hat. Spanien, Griechenland, die Türkei. Finnland,
Japan und China spielen keine besondere Rolle, weil sie verbrauchte Formen
zeigen. Nur der Werkbund der Schweiz auf der Esplanade zeigt eine solide
und gute Schau.
Lebendigen und frischen, wenn auch noch ungestümen Geist bringt Ruß-
land. Sein Haus besteht aus zwei schiefen, rot und weiß gestrichenen, durch
doppelseitige Treppenaufgänge verbundene Holzbaracken mit Fensterfassade.
Der Erbauer ist Constantin Melnikoff, der Architekt des Moskauer Theaters.
In dem burschikosen Konstruktivismus soll das Provisorische eines Aus-
stellungsgebäudes betont und zugleich ein Protest gegen die Feierlichkeit
der Paläste im Feudalstil ausgesprochen werden. Die kühnen Modelle für
das Theater und das Kino, die im Grand Palais ausgestellt sind, bringen so viel
originelle Ideen, daß es sich lohnen würde, in. einem besonderen Artikel auf sie
einzugehen. Auch die Franzosen haben sehr interessante Entwürfe auf ihrer
Kinoabteilung und ihrem Stand junger Architekten im Grand Palais ausgestellt.
Überhaupt: je öfter man diese Ausstellung besucht, um so mehr gewinnt man
die Vorstellung, daß Frankreichs beste Kräfte einen Kampf gegen den Jugend-
stil kämpfen, und es sich wohl ähnlich wie Deutschland, Holland, Österreich
usw. zu einem modernen Stil der Sachlichkeit und Hygiene durchringen wird.
Inzwischen herrscht Kitsch im Kunstgewerbe. Man sucht sich dem Ge-
schmack der reichen Amerikaner, die den Markt beherrschen, anzupassen. Der
Pariser spricht zwar mit der stolzen Gebärde, mit der der Grieche einst von
dem Barbar sprach, von dem „Etranger“; aber dem Gelderwerb zuliebe wird
Kompromiß auf Kompromiß gemacht, sogar auf dem sakrosankten Gebiet der
geliebten Mode. Nur daß der Kitsch in Paris von alter Kunst und Kultur überj
strahlt wird. Paris kann es sich leisten, in seinem Juwelengeschmeide auch
ein paar falsche Perlen zu tragen.

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