Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925
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Heft 15
DOI Artikel:Biermann, Georg: Neue Künstler - Richard Herber
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Neue Künstler
Richard Herber
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel
DER künstlerische Nachwuchs ist zur Zeit in Europa nicht aufregend. Die
jungen Kräfte, auf die die Zukunft setzen kann, befinden sich im Zustand
der Sammlung. Es fehlt an den wirtschaftlichen Voraussetzungen, die eine
freie Entfaltung möglich machen, es fehlt auch an den inneren Spannungs-
koeffizienten, die hier und dort — wie im Expressionismus — Entladung ver-
langen. Wir sind zudem auf dem besten Wege zu einer kontinentalen Assi-
milation. Das nächste Ziel scheint die europäische Kunst zu sein, die wieder
an die Natur anknüpft, ohne dabei ganz der Mystik entraten zu wollen, soweit
es sich um die künstlerischen Kräfte handelt, die wirklich nach einem Neu-
land suchen. Über diesen allenthalben latenten Prozeß wird an anderer Stelle
gesprochen werden. Hier soll einer der Jungen vorgestellt werden, der ledig-
lich der Qualität seiner Arbeit nach solche erste Verdeutlichung an dieser
Stelle rechtfertigt.
Richard Herber, der im Dezember 189g geboren ist und in Biebrich lebt,
entstammt dem Arbeiterstande und ist als Künstler vollkommen Autodidakt.
Als Sohn eines Arbeiters machte er von igoö—1914 die Volksschule durch
und danach die Lehre als Lithograph (1914—1918). Dann zwang ihn die Not
der Zeit, in chemischen Fabriken, landwirtschaftlichen Betrieben und später
als Hausbursche zu arbeiten. Die zufällige Bekanntschaft mit dem Werk
Edward Munchs entfesselt den künstlerischen Instinkt, und allen Nöten des
Lebens zum Trotz beginnt er zu zeichnen (danach auch zu malen), mit dem
letzten Ziel, den Menschen in seiner großen Form —• wie er selbst sagt —
zu erfassen. Wolfgang Gurlitt, der mit dem ihm angeborenen feinen Instinkt
immer nach jungen Kräften sucht, veranstaltete im letzten Winter in seinem
Salon in der Potsdamer Straße die erste Ausstellung von Zeichnungen Richard
Herbers, die im ganzen den Beweis von der künstlerischen Bedeutung dieses
rheinischen Autodidakten erbrachte.
Zugegeben, daß der letzte Eindruck, den man von dieser Kollektion empfing,
immer noch eine gewisse Zwiespältigkeit des Gefühls auslöste, darf doch ge-
sagt werden, daß man damals ein halbes Dutzend großformatiger Zeichnungen
sah, über die man sich aufrichtig freuen durfte. Es gab da Arbeiten, die mehr
waren als die bloße Wiederholung des Modells in der üblichen akademischen
Form. Versuche, den Menschen von innen her zu begreifen und irgendwie
persönlich und monumental auf die Fläche zu zwingen. Das allgemeine
Gesicht dieser Arbeiten hatte einen Nenner, der nicht einfach aus der Über-
lieferung von Zeichenschulen stammte. Es waren Arbeiten eines Künstlers,
vor denen man gern verweilte, weil sie nicht nur Könnerschaft an sich, sondern
auch ein persönliches Gesicht verrieten.
Man muß also abwarten, wie sich dieser rheinische Künstler weiterentwickelt
und ob er auch als Maler Eigenes zu sagen haben wird, was ich unbedingt
glauben möchte.
Die Nöte seines bürgerlichen Daseins sind unerhört. Dem Einsamen sind
vorerst alle Quellen zu einer freien Entfaltung verrammelt. Dennoch möchte
man hoffen, daß es dieser starken Kraft gelingen wird, sich eines Tages als
ein Schaffender unserer Zeit zu offenbaren, für den wir jetzt nicht ohne Grund
unsere werbende Stimme erhoben haben. . Biermann.
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Richard Herber
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel
DER künstlerische Nachwuchs ist zur Zeit in Europa nicht aufregend. Die
jungen Kräfte, auf die die Zukunft setzen kann, befinden sich im Zustand
der Sammlung. Es fehlt an den wirtschaftlichen Voraussetzungen, die eine
freie Entfaltung möglich machen, es fehlt auch an den inneren Spannungs-
koeffizienten, die hier und dort — wie im Expressionismus — Entladung ver-
langen. Wir sind zudem auf dem besten Wege zu einer kontinentalen Assi-
milation. Das nächste Ziel scheint die europäische Kunst zu sein, die wieder
an die Natur anknüpft, ohne dabei ganz der Mystik entraten zu wollen, soweit
es sich um die künstlerischen Kräfte handelt, die wirklich nach einem Neu-
land suchen. Über diesen allenthalben latenten Prozeß wird an anderer Stelle
gesprochen werden. Hier soll einer der Jungen vorgestellt werden, der ledig-
lich der Qualität seiner Arbeit nach solche erste Verdeutlichung an dieser
Stelle rechtfertigt.
Richard Herber, der im Dezember 189g geboren ist und in Biebrich lebt,
entstammt dem Arbeiterstande und ist als Künstler vollkommen Autodidakt.
Als Sohn eines Arbeiters machte er von igoö—1914 die Volksschule durch
und danach die Lehre als Lithograph (1914—1918). Dann zwang ihn die Not
der Zeit, in chemischen Fabriken, landwirtschaftlichen Betrieben und später
als Hausbursche zu arbeiten. Die zufällige Bekanntschaft mit dem Werk
Edward Munchs entfesselt den künstlerischen Instinkt, und allen Nöten des
Lebens zum Trotz beginnt er zu zeichnen (danach auch zu malen), mit dem
letzten Ziel, den Menschen in seiner großen Form —• wie er selbst sagt —
zu erfassen. Wolfgang Gurlitt, der mit dem ihm angeborenen feinen Instinkt
immer nach jungen Kräften sucht, veranstaltete im letzten Winter in seinem
Salon in der Potsdamer Straße die erste Ausstellung von Zeichnungen Richard
Herbers, die im ganzen den Beweis von der künstlerischen Bedeutung dieses
rheinischen Autodidakten erbrachte.
Zugegeben, daß der letzte Eindruck, den man von dieser Kollektion empfing,
immer noch eine gewisse Zwiespältigkeit des Gefühls auslöste, darf doch ge-
sagt werden, daß man damals ein halbes Dutzend großformatiger Zeichnungen
sah, über die man sich aufrichtig freuen durfte. Es gab da Arbeiten, die mehr
waren als die bloße Wiederholung des Modells in der üblichen akademischen
Form. Versuche, den Menschen von innen her zu begreifen und irgendwie
persönlich und monumental auf die Fläche zu zwingen. Das allgemeine
Gesicht dieser Arbeiten hatte einen Nenner, der nicht einfach aus der Über-
lieferung von Zeichenschulen stammte. Es waren Arbeiten eines Künstlers,
vor denen man gern verweilte, weil sie nicht nur Könnerschaft an sich, sondern
auch ein persönliches Gesicht verrieten.
Man muß also abwarten, wie sich dieser rheinische Künstler weiterentwickelt
und ob er auch als Maler Eigenes zu sagen haben wird, was ich unbedingt
glauben möchte.
Die Nöte seines bürgerlichen Daseins sind unerhört. Dem Einsamen sind
vorerst alle Quellen zu einer freien Entfaltung verrammelt. Dennoch möchte
man hoffen, daß es dieser starken Kraft gelingen wird, sich eines Tages als
ein Schaffender unserer Zeit zu offenbaren, für den wir jetzt nicht ohne Grund
unsere werbende Stimme erhoben haben. . Biermann.
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