RUNDSCHAU
Sammlungen
AUS DER BERLINER NATIONAL-
GALERIE
Paul Ortwin Rave hat im 20. Heft des „Ci-
cerone“ an Hand eines biographischen Ab-
risses die bestechendsten unter den Jugend-
arbeiten Julius Hübners veröffentlicht,
die jetzt in einer dankenswerten kleinen
Ausstellung der Berliner Galerie versam-
melt sind. Es erübrigt sich somit, an die-
ser Stelle näher auf eine Veranstaltung ein-
zugehen, die nicht nur als Fortsetzung des
planmäßigen Bestrebens von Wert ist, ge-
wisse bislang weniger deutliche Künstler-
gestalten des vorigen Jahrhunderts in ihren
persönlichen Umrissen erkennbar werden
zu lassen, sondern wirklich einen besonders
im Einzel- und Gruppenporträt durch pla-
stische Lebendigkeit und feine Eindring-
lichkeit hervorragenden Meister neu zu
Ehren bringt. Leider mußte in der durch
Zeichnungen und Aquarellstudien erweiter-
ten Folge der Gemälde das von der Jahr-
hundertausstellung her bekannte Bildnis
seines Töchterchens, ein in der kräftigen
Anmut des Gepräges sehr kennzeichnendes
Stück, entbehrt werden.
Gleichzeitig übergab die Nationalgalerie
einige Neuerwerbungen, als deren wichtig-
ste das 1815 verfaßte Frühwerk des Joh.
Fr. Overbeck mit dem Thema „Christus
im Hause des Lazarus“ anzusehen ist, ein
Bild, das in der figürlichen Ordnung und
Gebärdung, in seinem wannen Goldklang,
in der feinen Einfachheit aller säumenden
und rahmenden Linien eine untheatralische,
sanft flutende Schönheit birgt, vor der man
einmal das Bedingte und Abgeleitete naza-
renischer Malerei vergißt, eingefangen von
dem stillen Ernst der Köpfe und der doch
ganz eigenen Musik des Ganzen. Ferner
konnten von FriedrichWasmann, den
die Leihgabe der Grönvoldschen Sammlung
an dieser Stelle früher so umfassend ver-
anschaulicht hat, nicht weniger als fünf ge-
malte und eine ganze Folge gezeichneter
Bildnisse aus eben diesem Besitz übernom-
men werden, meist Frauenantlitze mit herb-
kräftigen Zügen und klarem Auge, aufge-
nommen in fast vollständigem Frontal und
unter Betonung der linearen Elemente, so
vor allem der sorgsamen Haarflechten. Die
malerische Behandlung ist bei Wasmann
mitunter etwasungeschmeidig und hart, aber
gerade diese Primitivität kann dann, etwa
bei einem Gruppenbild mit drei Kindern,
besondere Reize ergeben. Schließlich ist
eine große Gebirgslandschaft von dem Fried-
rich-Schüler E. F. Oehme angekauft wor-
den, eine Darstellung des Wetterhorns aus
dem Jahre 182g, deren Vorzüge glaubhafter
Raumwirkung und aufmerksamer Durch-
führung der Mittelgrundpartien doch nicht
hinreichen, ein mehr historisches Interesse
in unmittelbare Ergriffenheit umzusetzen.
Willi Wolfradt.
PRAGER SAMMLUNGEN
Rudolfinische Sammlungen findet man
hier nicht mehr. Kaum noch ärmliche
Reste, die man aus verschütteten Burg-
gräben (A.-de-Vries-Bronzen und Antiken!)
und aus Tischlerwerkstätten (Dürers Rosen-
kranzfest!) hervorgezogen hat. Die Methode
Josephs II. hat da gründlich aufgeräumt,
auch mit dem, was das Jahrhundert vor
ihm noch nicht verschleudert hatte. Und
über der mittelalterlichen Kunst haben die
Hussiten gewütet. Dies der Grund, warum
man bei so bedeutender Malerei fast keine
Plastik aus dem Mittelalter findet. Mit dem
Barock steht’s besser. Seine Bildhauer brau-
chen keine Museen, die haben ihre Werke
auf Brücken und Straßen gestellt. Maler
gab es nicht eben sehr bedeutende. Die Ar-
chitektur überwältigt draußen. Das ig.Jahr-
hundert hat gemalt. Man sieht es in den Ga-
lerien, über die hier schon referiert wurde.
Also wenig alte Kunst in Prag. Immer-
hin — die Art, wie gesammelt bzw. placiert
wird, läßt sie noch viel weniger erscheinen,
als sie ist. Man verzettelt sich hier in lauter
Sondersammlungen — die alle staatlich oder
städtisch sind —, jede für sich wenig be-
sagen, vereinigt aber doch ein ganz hüb-
sches Bild bieten könnten. Da ist z. B. das
Böhmische Nationalmuseum. Jeder
Besucher Prags stolpert hinein, weil es un-
vermeidlich ist. Flackt es doch wie ein Un-
tier hoch oben am Wenzelsplatz. Und je-
dem geht’s gleich: er irrt eine Stunde oder
zwei durch die in einem unmöglichen Ge-
bäude aufgestapelten Steinhaufen und Vö-
gelskelette — es ist hier nämlich eine nicht
unbedeutende paläontologische Samm-
lung —, um zum Schluß beim Portier zu
erfahren, daß irgendwo unter den Riesen-
sälen auch einer oder zwei mit mittelalter-
licher Plastik u. dgl. zu finden seien. Je-
doch — der Unglückliche ist zu müde, um
die Irrfahrt nochmals zu wagen. So ver-
läßt er diesen Ort mit Gefühlen eines ent-
täuschten Kunstfreunds, dem Steine statt
Brot geboten wurden. Wer zufällig doch ins
versteckte „Paradies“ gelangte, sieht ein
Dutzend spätgotischer Schnitzwerke, wor-
1181
Sammlungen
AUS DER BERLINER NATIONAL-
GALERIE
Paul Ortwin Rave hat im 20. Heft des „Ci-
cerone“ an Hand eines biographischen Ab-
risses die bestechendsten unter den Jugend-
arbeiten Julius Hübners veröffentlicht,
die jetzt in einer dankenswerten kleinen
Ausstellung der Berliner Galerie versam-
melt sind. Es erübrigt sich somit, an die-
ser Stelle näher auf eine Veranstaltung ein-
zugehen, die nicht nur als Fortsetzung des
planmäßigen Bestrebens von Wert ist, ge-
wisse bislang weniger deutliche Künstler-
gestalten des vorigen Jahrhunderts in ihren
persönlichen Umrissen erkennbar werden
zu lassen, sondern wirklich einen besonders
im Einzel- und Gruppenporträt durch pla-
stische Lebendigkeit und feine Eindring-
lichkeit hervorragenden Meister neu zu
Ehren bringt. Leider mußte in der durch
Zeichnungen und Aquarellstudien erweiter-
ten Folge der Gemälde das von der Jahr-
hundertausstellung her bekannte Bildnis
seines Töchterchens, ein in der kräftigen
Anmut des Gepräges sehr kennzeichnendes
Stück, entbehrt werden.
Gleichzeitig übergab die Nationalgalerie
einige Neuerwerbungen, als deren wichtig-
ste das 1815 verfaßte Frühwerk des Joh.
Fr. Overbeck mit dem Thema „Christus
im Hause des Lazarus“ anzusehen ist, ein
Bild, das in der figürlichen Ordnung und
Gebärdung, in seinem wannen Goldklang,
in der feinen Einfachheit aller säumenden
und rahmenden Linien eine untheatralische,
sanft flutende Schönheit birgt, vor der man
einmal das Bedingte und Abgeleitete naza-
renischer Malerei vergißt, eingefangen von
dem stillen Ernst der Köpfe und der doch
ganz eigenen Musik des Ganzen. Ferner
konnten von FriedrichWasmann, den
die Leihgabe der Grönvoldschen Sammlung
an dieser Stelle früher so umfassend ver-
anschaulicht hat, nicht weniger als fünf ge-
malte und eine ganze Folge gezeichneter
Bildnisse aus eben diesem Besitz übernom-
men werden, meist Frauenantlitze mit herb-
kräftigen Zügen und klarem Auge, aufge-
nommen in fast vollständigem Frontal und
unter Betonung der linearen Elemente, so
vor allem der sorgsamen Haarflechten. Die
malerische Behandlung ist bei Wasmann
mitunter etwasungeschmeidig und hart, aber
gerade diese Primitivität kann dann, etwa
bei einem Gruppenbild mit drei Kindern,
besondere Reize ergeben. Schließlich ist
eine große Gebirgslandschaft von dem Fried-
rich-Schüler E. F. Oehme angekauft wor-
den, eine Darstellung des Wetterhorns aus
dem Jahre 182g, deren Vorzüge glaubhafter
Raumwirkung und aufmerksamer Durch-
führung der Mittelgrundpartien doch nicht
hinreichen, ein mehr historisches Interesse
in unmittelbare Ergriffenheit umzusetzen.
Willi Wolfradt.
PRAGER SAMMLUNGEN
Rudolfinische Sammlungen findet man
hier nicht mehr. Kaum noch ärmliche
Reste, die man aus verschütteten Burg-
gräben (A.-de-Vries-Bronzen und Antiken!)
und aus Tischlerwerkstätten (Dürers Rosen-
kranzfest!) hervorgezogen hat. Die Methode
Josephs II. hat da gründlich aufgeräumt,
auch mit dem, was das Jahrhundert vor
ihm noch nicht verschleudert hatte. Und
über der mittelalterlichen Kunst haben die
Hussiten gewütet. Dies der Grund, warum
man bei so bedeutender Malerei fast keine
Plastik aus dem Mittelalter findet. Mit dem
Barock steht’s besser. Seine Bildhauer brau-
chen keine Museen, die haben ihre Werke
auf Brücken und Straßen gestellt. Maler
gab es nicht eben sehr bedeutende. Die Ar-
chitektur überwältigt draußen. Das ig.Jahr-
hundert hat gemalt. Man sieht es in den Ga-
lerien, über die hier schon referiert wurde.
Also wenig alte Kunst in Prag. Immer-
hin — die Art, wie gesammelt bzw. placiert
wird, läßt sie noch viel weniger erscheinen,
als sie ist. Man verzettelt sich hier in lauter
Sondersammlungen — die alle staatlich oder
städtisch sind —, jede für sich wenig be-
sagen, vereinigt aber doch ein ganz hüb-
sches Bild bieten könnten. Da ist z. B. das
Böhmische Nationalmuseum. Jeder
Besucher Prags stolpert hinein, weil es un-
vermeidlich ist. Flackt es doch wie ein Un-
tier hoch oben am Wenzelsplatz. Und je-
dem geht’s gleich: er irrt eine Stunde oder
zwei durch die in einem unmöglichen Ge-
bäude aufgestapelten Steinhaufen und Vö-
gelskelette — es ist hier nämlich eine nicht
unbedeutende paläontologische Samm-
lung —, um zum Schluß beim Portier zu
erfahren, daß irgendwo unter den Riesen-
sälen auch einer oder zwei mit mittelalter-
licher Plastik u. dgl. zu finden seien. Je-
doch — der Unglückliche ist zu müde, um
die Irrfahrt nochmals zu wagen. So ver-
läßt er diesen Ort mit Gefühlen eines ent-
täuschten Kunstfreunds, dem Steine statt
Brot geboten wurden. Wer zufällig doch ins
versteckte „Paradies“ gelangte, sieht ein
Dutzend spätgotischer Schnitzwerke, wor-
1181