Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925
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Heft 4
DOI Artikel:Stettiner, Richard: Ein Kreussener Krug als Palimpsest
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Ein Kreussener Krug als Palimpsest
Mit sieben Abbildungen auf drei Tafeln Von RICHARD STETTINER
IM Beginn der Kreussener Krugmacherkunst eine kurze Blüte vornehmer
Kleinkunst in Stil des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Die Tradition der Vests
war eine sichere, als sie in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts dazu
übergingen, zu der bisher geübten Ofenkachelkunst die zierlichere Formung
kleiner dekorativer Reliefstücke hinzuzufügen. Geschmackvoll, stilkorrekt,
aber doch im allgemeinen festhaltend an sich schon überlebenden Ornamenten
und durch diese konservative Gesinnung ein wenig banal. Vom kunstge-
schichtlichen Standpunkt ist es durchaus begreiflich, daß man einen Teil der
mit diesen plastischen Ornamenten geschmückten Krüge um Jahrzehnte zu
früh datiert hat.
Ganz schnell folgt dieser verfeinerten, ja man möchte sagen für den Zweck
der Gefäße überfeinerten Reliefkunst eine Wendung ins Volkskunstmäßige.
Die Reliefornamentik tritt zurück hinter die Motive, die innerhalb jenes in
den ersten Zeiten, zumeist zwischen 1610 und 1620, geschaffenen Formen-
schatzes dem allgemeinen Volksgeschmacke entsprachen: Apostel, Planeten,
Jagddarstellungen. Oder die Zusammenstellung der Motive geschah freimüti-
ger, unbelasteter durch überlieferte Architekturanschauung, als in der ersten,
der ,,klassischen“ Zeit. Aber dann, was vor allem das Volkskunstmäßige aus-
macht, treten starke, bunt zusammengestellte Emailfarben hinzu. Sie waren
abgelauscht den von vornherein auf das Volksmäßige abgestimmten email-
lierten Gläsern und waren vor allem wohl beeinflußt von den Arbeiten der
nahen Glashütten im Fichtelgebirge. In die Vestsche Werkstatt war diese
Technik im Beginn der zwanziger Jahre von dem Mann mit dem starken tech-
nischen Instinkt, dem handwerklich betriebsamen Nachfolger der kunst-
reicheren Vests, von Lorenz Speckner, eingeführt. Aber jene Farbenfreudig-
keit versucht nur selten durch sich allein zu wirken. Zumeist tritt sie zu der
Reliefkunst hinzu, und für diese Reliefkunst wiederum hält man bei den mei-
sten Krügen an jenem im Anfang geschaffenen Formenvorrat im Stil der Spät-
renaissance fest. Dadurch das Übereinanderlagern zweier Stilarten: Die volks-
kunstmäßige Emailmalerei mit ihrer Buntheit, mit ihren Motiven — Archi-
tekturen, Figuren, naturalistischen Maiglöckchenstauden, stilisierten Tulpen
und anderen Pflanzen, Linienranken, Punktrosetten usw. — sucht auf ihre
Weise die Formen einer früheren Zeit einem kräftigere Kost wünschenden
Geschmacke genießbar zu machen. Dieses Spiel setzt sich ein Jahrhundert
lang fort, mit wechselndem Erfolge. So sind z. B. in den siebziger und acht-
ziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts Arbeiten entstanden, die -es ge-
statten, von einer Nachblüte Kreussener Krugkunst zu reden.
Es seien da zuerst zwei Stücke erwähnt, bei denen man auf Reliefschmuck
verzichtet hat: der Krug mit Wappen und Bildnissen der Glockengießer-
familie Vogell von 1675, früher in der Sammlung Oppenheim (Katalog Nr. 92),
und der Krug mit Wappen und in Arkade eingefügten Bildnissen der Kreusse-
ner Töpferfamilie Schmidt von 1686 im Germanischen Nationalmuseum
(H. G. 1447). Dann wären etwa hervorzuheben: der Apostelkrug mit der Ma-
donna, die von Kaiser Heinrich und Kaiserin Kunigunde verehrt werden,
von 1682, in der früheren Sammlung Lanna (Auktion igoa, Nr. 841), und die
fünfseitige Flasche mit Planetenbildern von 1684 in der früheren Sammlung
auf Schloß Mainberg (Auktion, Berlin November igoi, Nr. 284). Endlich die
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Mit sieben Abbildungen auf drei Tafeln Von RICHARD STETTINER
IM Beginn der Kreussener Krugmacherkunst eine kurze Blüte vornehmer
Kleinkunst in Stil des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Die Tradition der Vests
war eine sichere, als sie in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts dazu
übergingen, zu der bisher geübten Ofenkachelkunst die zierlichere Formung
kleiner dekorativer Reliefstücke hinzuzufügen. Geschmackvoll, stilkorrekt,
aber doch im allgemeinen festhaltend an sich schon überlebenden Ornamenten
und durch diese konservative Gesinnung ein wenig banal. Vom kunstge-
schichtlichen Standpunkt ist es durchaus begreiflich, daß man einen Teil der
mit diesen plastischen Ornamenten geschmückten Krüge um Jahrzehnte zu
früh datiert hat.
Ganz schnell folgt dieser verfeinerten, ja man möchte sagen für den Zweck
der Gefäße überfeinerten Reliefkunst eine Wendung ins Volkskunstmäßige.
Die Reliefornamentik tritt zurück hinter die Motive, die innerhalb jenes in
den ersten Zeiten, zumeist zwischen 1610 und 1620, geschaffenen Formen-
schatzes dem allgemeinen Volksgeschmacke entsprachen: Apostel, Planeten,
Jagddarstellungen. Oder die Zusammenstellung der Motive geschah freimüti-
ger, unbelasteter durch überlieferte Architekturanschauung, als in der ersten,
der ,,klassischen“ Zeit. Aber dann, was vor allem das Volkskunstmäßige aus-
macht, treten starke, bunt zusammengestellte Emailfarben hinzu. Sie waren
abgelauscht den von vornherein auf das Volksmäßige abgestimmten email-
lierten Gläsern und waren vor allem wohl beeinflußt von den Arbeiten der
nahen Glashütten im Fichtelgebirge. In die Vestsche Werkstatt war diese
Technik im Beginn der zwanziger Jahre von dem Mann mit dem starken tech-
nischen Instinkt, dem handwerklich betriebsamen Nachfolger der kunst-
reicheren Vests, von Lorenz Speckner, eingeführt. Aber jene Farbenfreudig-
keit versucht nur selten durch sich allein zu wirken. Zumeist tritt sie zu der
Reliefkunst hinzu, und für diese Reliefkunst wiederum hält man bei den mei-
sten Krügen an jenem im Anfang geschaffenen Formenvorrat im Stil der Spät-
renaissance fest. Dadurch das Übereinanderlagern zweier Stilarten: Die volks-
kunstmäßige Emailmalerei mit ihrer Buntheit, mit ihren Motiven — Archi-
tekturen, Figuren, naturalistischen Maiglöckchenstauden, stilisierten Tulpen
und anderen Pflanzen, Linienranken, Punktrosetten usw. — sucht auf ihre
Weise die Formen einer früheren Zeit einem kräftigere Kost wünschenden
Geschmacke genießbar zu machen. Dieses Spiel setzt sich ein Jahrhundert
lang fort, mit wechselndem Erfolge. So sind z. B. in den siebziger und acht-
ziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts Arbeiten entstanden, die -es ge-
statten, von einer Nachblüte Kreussener Krugkunst zu reden.
Es seien da zuerst zwei Stücke erwähnt, bei denen man auf Reliefschmuck
verzichtet hat: der Krug mit Wappen und Bildnissen der Glockengießer-
familie Vogell von 1675, früher in der Sammlung Oppenheim (Katalog Nr. 92),
und der Krug mit Wappen und in Arkade eingefügten Bildnissen der Kreusse-
ner Töpferfamilie Schmidt von 1686 im Germanischen Nationalmuseum
(H. G. 1447). Dann wären etwa hervorzuheben: der Apostelkrug mit der Ma-
donna, die von Kaiser Heinrich und Kaiserin Kunigunde verehrt werden,
von 1682, in der früheren Sammlung Lanna (Auktion igoa, Nr. 841), und die
fünfseitige Flasche mit Planetenbildern von 1684 in der früheren Sammlung
auf Schloß Mainberg (Auktion, Berlin November igoi, Nr. 284). Endlich die
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