Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0941
DOI issue:
Heft 18
DOI article:Meier-Graefe, Julius: Neue Künstler - Paul Kleinschmidt
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0941
Neue Künstler
Paul Kleinschmidt1
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel
DER Gebärde nach ein Proletarier. Einer von denen, die sich nichts vor-
machen lassen, auch nicht die vergebliche Schönheit aus Konventionen
einer Gesellschaft, die weiter so tut als ob, und sich kaum noch gläubig stellt,
geschweige glauben könnte. Wenn es noch einmal Götter geben sollte, werden
sie schwerlich in dieser Gesellschaft zur Welt kommen, werden weder die
Anmut und Lebensfreude der Götter Griechenlands, noch die Demut des Ge-
kreuzigten haben, sondern eher der Sachlichkeit schweigsamer Angestellter
der Großstadt teilhaftig sein, die mit ihrem Klapp-Mechanismus sonderbare
Blechkisten in große Wagen leeren.
Wenn Menschen nur in den Pausen zwischen den Niedergängen des Bolzen,
der in der Stunde vierzehnhundertundachtzig Knopflöcher sticht, die Muße
für Träume finden, werden die Idyllen anders aussehen als in den Zeiten
Renoirs, der nicht vor ein paar, sondern vor tausend Jahren starb. Anders
im Objekt, anders im Subjekt. Corinth konnte noch mit dem alten Gegen-
stand, malte Kreuzigungen, Zeus und wer weiß was sonst noch. Auch einer,
dessen kaum beendete Existenz unter uns bald sagenhaft wirken wird. Corinth
malte diese Dinge so glaubhaft, daß man die alten Objekte in der Gerberei
von Stallupönen hantieren sah und Golgatha in der Nähe der Chaussee nach
Königsberg vermutete. Corinth war stark gegen die Zeit. Sie beutelte nur ein
bißchen seine Glieder, gerade genug, um diesen Vetter Hermanns, des Cherus-
kern, höchst modern, wenn möglich sogar impressionistisch, erscheinen zu
lassen. Schließlich müssen einmal Leute kommen, die stark für die Zeit sind,
nicht gestern oder vorgestern, sondern heute und morgen denkbar sind. Auch
das müssen starke Leute sein, wenn sie überhaupt etwas sind. Natürlich ein-
seitig, einseitig wie die sonderbaren Stadt-Beamten mit den Klapp-Kästen
und wie westfälische Primitive des fünfzehnten Jahrhunderts, die sich immer
bei der Erweckung des Lazarus die Nase zuhalten. Natürlich Visionäre von
unbändiger Phantasie, fanatische Visionäre. Sie müssen das Dasein zwischen
Maschinenbolzen für das Paradies nehmen, erst recht Paradies, müssen erst
recht glauben, nur in dieser Epoche leben zu können. Ja, der Gedanke ohne
Knopfloch-Maschinen und Klapp-Mechanismus muß ihnen entsetzlich sein,
wie einem Julianus Apostata das Leben ohne Tempel.
Es steckt ein Dichter in diesem Maler Kleinschmidt. Er treibt mit unseren
Objekten einen Götzen-Kult, liebt dicke Weiber in schornsteinhaften Bars,
die niederträchtigen Fruchtaufsätze von gellender Phantasie, auf denen immer
nur Wachsfrüchte liegen, und die Fressen moderner Schieber; liebt sie nicht,
um daraus sachliche Kompilationen zu machen, Monumente des Unrats, die
protestieren sollen, denkt gar nicht daran. Beckmann wundert sich noch
über Grammophon und platzende Korsetts und den ganzen lieben Klüngel.
Kleinschmidt lebt darin und malt mit der Inbrunst, mit der Manet seine kost-
bare Brioche oder sein Bund Spargel malte, malt mit der trunkenen Be-
geisterung Corinths, vergißt sein Objekt, schwelgt im Traum seiner heillosen
Weiber und sieht ihnen im Rausch unerhört neue, bestrickende Harmonien
ab. In Beckmann bleibt immer noch eine Verneinung, bewußte Karikatur,
1 Zugleich Vorwort des Katalogs, der die derzeitige Ausstellung bei Fritz Gurlitt be-
gleitet.
909
Paul Kleinschmidt1
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel
DER Gebärde nach ein Proletarier. Einer von denen, die sich nichts vor-
machen lassen, auch nicht die vergebliche Schönheit aus Konventionen
einer Gesellschaft, die weiter so tut als ob, und sich kaum noch gläubig stellt,
geschweige glauben könnte. Wenn es noch einmal Götter geben sollte, werden
sie schwerlich in dieser Gesellschaft zur Welt kommen, werden weder die
Anmut und Lebensfreude der Götter Griechenlands, noch die Demut des Ge-
kreuzigten haben, sondern eher der Sachlichkeit schweigsamer Angestellter
der Großstadt teilhaftig sein, die mit ihrem Klapp-Mechanismus sonderbare
Blechkisten in große Wagen leeren.
Wenn Menschen nur in den Pausen zwischen den Niedergängen des Bolzen,
der in der Stunde vierzehnhundertundachtzig Knopflöcher sticht, die Muße
für Träume finden, werden die Idyllen anders aussehen als in den Zeiten
Renoirs, der nicht vor ein paar, sondern vor tausend Jahren starb. Anders
im Objekt, anders im Subjekt. Corinth konnte noch mit dem alten Gegen-
stand, malte Kreuzigungen, Zeus und wer weiß was sonst noch. Auch einer,
dessen kaum beendete Existenz unter uns bald sagenhaft wirken wird. Corinth
malte diese Dinge so glaubhaft, daß man die alten Objekte in der Gerberei
von Stallupönen hantieren sah und Golgatha in der Nähe der Chaussee nach
Königsberg vermutete. Corinth war stark gegen die Zeit. Sie beutelte nur ein
bißchen seine Glieder, gerade genug, um diesen Vetter Hermanns, des Cherus-
kern, höchst modern, wenn möglich sogar impressionistisch, erscheinen zu
lassen. Schließlich müssen einmal Leute kommen, die stark für die Zeit sind,
nicht gestern oder vorgestern, sondern heute und morgen denkbar sind. Auch
das müssen starke Leute sein, wenn sie überhaupt etwas sind. Natürlich ein-
seitig, einseitig wie die sonderbaren Stadt-Beamten mit den Klapp-Kästen
und wie westfälische Primitive des fünfzehnten Jahrhunderts, die sich immer
bei der Erweckung des Lazarus die Nase zuhalten. Natürlich Visionäre von
unbändiger Phantasie, fanatische Visionäre. Sie müssen das Dasein zwischen
Maschinenbolzen für das Paradies nehmen, erst recht Paradies, müssen erst
recht glauben, nur in dieser Epoche leben zu können. Ja, der Gedanke ohne
Knopfloch-Maschinen und Klapp-Mechanismus muß ihnen entsetzlich sein,
wie einem Julianus Apostata das Leben ohne Tempel.
Es steckt ein Dichter in diesem Maler Kleinschmidt. Er treibt mit unseren
Objekten einen Götzen-Kult, liebt dicke Weiber in schornsteinhaften Bars,
die niederträchtigen Fruchtaufsätze von gellender Phantasie, auf denen immer
nur Wachsfrüchte liegen, und die Fressen moderner Schieber; liebt sie nicht,
um daraus sachliche Kompilationen zu machen, Monumente des Unrats, die
protestieren sollen, denkt gar nicht daran. Beckmann wundert sich noch
über Grammophon und platzende Korsetts und den ganzen lieben Klüngel.
Kleinschmidt lebt darin und malt mit der Inbrunst, mit der Manet seine kost-
bare Brioche oder sein Bund Spargel malte, malt mit der trunkenen Be-
geisterung Corinths, vergißt sein Objekt, schwelgt im Traum seiner heillosen
Weiber und sieht ihnen im Rausch unerhört neue, bestrickende Harmonien
ab. In Beckmann bleibt immer noch eine Verneinung, bewußte Karikatur,
1 Zugleich Vorwort des Katalogs, der die derzeitige Ausstellung bei Fritz Gurlitt be-
gleitet.
909