Die Wandteppichmanufaktur
von Aubusson
Von HEINRICH GÖBEL / Mit
15 Abbildungen auf 14 Tafeln
Fortsetzung aus Heft 8
IM Gegensatz zu den niederländischen Manufakturen verwerten die Ateliers
der Marche zeitgenössische Stoffe nach Erscheinen der betreffenden Dichtung
in verhältnismäßig kurzer Zeit. Besonders beliebt ist die Folge der Astree
nach dem Romane von Honore d’Urfe, die unzähligemal in Aubusson auf die
Gezeuge gelegt wird. Eine grobe Serie „ä fil simple“ mit insgesamt zehn Be-
hängen nimmt Pierre Danty 1643 in Auftrag. Francois Jallasson wirkt als
Spezialität die Geschichte Armidens (Abb. 2) •— allein im Jahre 1654 gelangen
sechs vollständige Serien zur Ablieferung. Schon etwas ausgefallener ist die
„Histoire d’Ariane“ nach den Entwürfen von Vignon, gleichfalls aus der
Jallassonschen Werkstatt. Daß die Interpretation des „Grand Cyrus“ nach dem
Romane der Mlle. de Scudery nicht fehlt, versteht sich von selbst. Jean Boffi-
net verpflichtet sich 1661 gegenüber Antoine de La Rocheaymon, Grafen von
Mainsat, zur Anlieferung einer technisch nicht uninteressanten Folge. Ent-
sprechend dem hohen Einheitspreis (34 livr. 10 sous) erfolgt die Durchführung
unter Verwendung des besten Materials „avec des bordures ä fleurs en con-
fusion; la fond de ladite bordure sera de soye du coste clair (in den Lichtern)
et le surplus reaussee de soye et layne de Paris, hors les bruns qui seront
doubles, de bonne layne de pays (Auvergner Wolle) ä fil double; les visages et
les charneures (das Inkarnat) seront tout de layne de Paris; les draperies et
paisages reausses de soye et de layne de Paris etc.“1. Verhältnismäßig selten
finden wir die Interpretation der Geschichte der Marianne an Hand der Schil-
derungen des heimischen Poeten J.-B. Lhermite de Soliers, dit Tristan.
Das „befreite Jerusalem“, zumeist in Verbindung mit der Rinaldo- und
Armida-Legende, erfährt in Aubusson häufige Übertragung. Eine fast voll-
ständige Serie, ehedem im Besitze der Familie Balague de Montreal, hängt in
der Bürgermeisterei von Vallon (Ardeche). Sechs Behänge führen die Signa-
tur des Michel Dorliac, der in den fünfziger Jahren des 17. Säkulums in Au-
busson eine umfangreiche Manufaktur betrieb, der siebente Teppich nennt
Jacques Reynaud als Erzeuger. Guarinis „Pastor Fido“ ist noch mehrfach in
uns überkommenen Teppichreihen vertreten (Sammlung Geoffroy in Saint-
Maixent). Eine der eigenartigsten Folgen stellt die Geschichte der Jungfrau
von Orleans dar, im Besitze des Grafen de La Baume auf Schloß Comblat
(Cantal)2. Die Darstellungen sind bis auf verschiedene Vereinfachungen und
Zusammenziehungen wörtlich den Titelstichen der „Pucelle“3 von Chapelain
entnommen, die auf Claude Vignon als Entwerfer und auf Abraham Bosse als
Stecher zurückgehen. Die Serie von Comblat umfaßt sechs Behänge — die
Vision der Schäferin von Domremy; Johanna vor dem Sire de Baudricourt,
die Jungfrau vor dem König in Chinon, Angriff auf Orleans, Krönung in
Reims, Johanna wird vor Paris verwundet — mit der Signatur des Aubussoner
Wirkers Jacques Corneille. Die Wiederholung der Sammlung Forestie —
1 Archives de la Haute Vienne, fonds Bosvieux.
2 Edouard Forestie, Les Tapisseries de Jeanne d’Arc et la Pucelle de Chapelain, Mon-
tauban 1878.
Archives de l’Art franqais, nouvelle periode, t. VIII, S. 138—145.
Louis Lacroq, Chronique des tapisseries anciennes d’Aubusson et de Felletin in:
Bulletin de la societe archeologique et historique du Limousin, t. LXVIII (1920). S. 137 ff.
3 „La Pucelle“ erschien 1656 in Paris im Druck.
Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 9
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von Aubusson
Von HEINRICH GÖBEL / Mit
15 Abbildungen auf 14 Tafeln
Fortsetzung aus Heft 8
IM Gegensatz zu den niederländischen Manufakturen verwerten die Ateliers
der Marche zeitgenössische Stoffe nach Erscheinen der betreffenden Dichtung
in verhältnismäßig kurzer Zeit. Besonders beliebt ist die Folge der Astree
nach dem Romane von Honore d’Urfe, die unzähligemal in Aubusson auf die
Gezeuge gelegt wird. Eine grobe Serie „ä fil simple“ mit insgesamt zehn Be-
hängen nimmt Pierre Danty 1643 in Auftrag. Francois Jallasson wirkt als
Spezialität die Geschichte Armidens (Abb. 2) •— allein im Jahre 1654 gelangen
sechs vollständige Serien zur Ablieferung. Schon etwas ausgefallener ist die
„Histoire d’Ariane“ nach den Entwürfen von Vignon, gleichfalls aus der
Jallassonschen Werkstatt. Daß die Interpretation des „Grand Cyrus“ nach dem
Romane der Mlle. de Scudery nicht fehlt, versteht sich von selbst. Jean Boffi-
net verpflichtet sich 1661 gegenüber Antoine de La Rocheaymon, Grafen von
Mainsat, zur Anlieferung einer technisch nicht uninteressanten Folge. Ent-
sprechend dem hohen Einheitspreis (34 livr. 10 sous) erfolgt die Durchführung
unter Verwendung des besten Materials „avec des bordures ä fleurs en con-
fusion; la fond de ladite bordure sera de soye du coste clair (in den Lichtern)
et le surplus reaussee de soye et layne de Paris, hors les bruns qui seront
doubles, de bonne layne de pays (Auvergner Wolle) ä fil double; les visages et
les charneures (das Inkarnat) seront tout de layne de Paris; les draperies et
paisages reausses de soye et de layne de Paris etc.“1. Verhältnismäßig selten
finden wir die Interpretation der Geschichte der Marianne an Hand der Schil-
derungen des heimischen Poeten J.-B. Lhermite de Soliers, dit Tristan.
Das „befreite Jerusalem“, zumeist in Verbindung mit der Rinaldo- und
Armida-Legende, erfährt in Aubusson häufige Übertragung. Eine fast voll-
ständige Serie, ehedem im Besitze der Familie Balague de Montreal, hängt in
der Bürgermeisterei von Vallon (Ardeche). Sechs Behänge führen die Signa-
tur des Michel Dorliac, der in den fünfziger Jahren des 17. Säkulums in Au-
busson eine umfangreiche Manufaktur betrieb, der siebente Teppich nennt
Jacques Reynaud als Erzeuger. Guarinis „Pastor Fido“ ist noch mehrfach in
uns überkommenen Teppichreihen vertreten (Sammlung Geoffroy in Saint-
Maixent). Eine der eigenartigsten Folgen stellt die Geschichte der Jungfrau
von Orleans dar, im Besitze des Grafen de La Baume auf Schloß Comblat
(Cantal)2. Die Darstellungen sind bis auf verschiedene Vereinfachungen und
Zusammenziehungen wörtlich den Titelstichen der „Pucelle“3 von Chapelain
entnommen, die auf Claude Vignon als Entwerfer und auf Abraham Bosse als
Stecher zurückgehen. Die Serie von Comblat umfaßt sechs Behänge — die
Vision der Schäferin von Domremy; Johanna vor dem Sire de Baudricourt,
die Jungfrau vor dem König in Chinon, Angriff auf Orleans, Krönung in
Reims, Johanna wird vor Paris verwundet — mit der Signatur des Aubussoner
Wirkers Jacques Corneille. Die Wiederholung der Sammlung Forestie —
1 Archives de la Haute Vienne, fonds Bosvieux.
2 Edouard Forestie, Les Tapisseries de Jeanne d’Arc et la Pucelle de Chapelain, Mon-
tauban 1878.
Archives de l’Art franqais, nouvelle periode, t. VIII, S. 138—145.
Louis Lacroq, Chronique des tapisseries anciennes d’Aubusson et de Felletin in:
Bulletin de la societe archeologique et historique du Limousin, t. LXVIII (1920). S. 137 ff.
3 „La Pucelle“ erschien 1656 in Paris im Druck.
Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 9
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