Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Schaukal, Richard von: Anton Kolig
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0328

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Von RICHARD VON SCHAUKAL
Mit elf Abbildungen auf sechs Tafeln

Anton Kolig
UNSERE Zeit ist nicht imstande, in der Malerei einen Stil zu schaffen,
wie er alle großen Epochen künstlerischer Tätigkeit kennzeichnet. Kein
Wunder: ist sie doch selbst ohne Charakter, eine Zeit der gesellschaftlichen
Krise, der ethischen Anarchie, der geistigen Ausschweifung. Auf dem Wege
zu äußerlicher Verwirklichung eines von unhistorischem Doktrinarismus an-
gestrebten Weltbürgertums hat ihr das Wiederaufleben eines eifersüchtigen und
gehässigen Nationalismus, ein Zerrbild eingeborener idealistischer Tendenzen
des Menschen, die materielle Entwicklung zur einen und einheitlichen Kom-
merzwelt verlegt: sie zerfällt in größere und kleinere Kreise politisch betäubter
Raffgier, während der innerhalb dieser Schranken unbeaufsichtigte Geist in
Denken und Schaffen ziellos bummelt. Schon seit reichlich fünfzig Jahren
war Kultur ein mühsam errungener, selten vererbter Besitz Einzelner gewesen,
immerhin hatte überlebt-stagnierende Staatsordnung auf dem ehrwürdigen
Trümmerfelde patriarchalischer Gewohnheiten ihre bescheidene Resonanz
verbürgt: man war als Alleingänger doch unterweilen andern begegnet, ja es
gab sogar hin und wieder so etwas wie eine schüchterne Vereinigung Kultur-
fähiger in einer verborgenen Ecke unter der Riesenzirkusplache der gegen En-
tree jedem zugänglichen Zivilisation. Das hat, zumindest in Mitteleuropa, nach
dem großen Kriege, der nichts weniger als eine willkürliche Erscheinung, son-
dern die notwendige Folge des unorganisch wuchernden Weltindustrialismus
gewesen ist, ein jähes Ende genommen: Der spärliche Kulturbesitz des Ein-
zelnen ist zerstreut und zertrampelt, Marodeure plündern die unkenntlichen
Reste.
Nirgends in der heutigen europäischen Welt ist ein aneifernder Schatz
selbsterworbenen nationalen Kulturbestandes vorhanden. Amerika, das form-
lose Konglomerat zivilisatorischer Massen- und Ersatzprodukte, hat den Krieg
gewonnen. Es gibt keine europäische Tradition, keine europäische Gesell-
schaft, keinen europäischen Stil, der Anziehungskraft besäße. Selbst hat
jedes Volk sich die Notbaracke zu zimmern; eine Zeit der verantwortungs-
losen Freizügigkeit des Einzelnen in jedem Volk, das, innerlich von Partei-
kämpfen zerwühlt, noch Staat spielt, ist angebrochen. Die Kunst ist dessen
sinnlicher Aus- und Eindruck. Jeder, im dumpfen Gefühl des Bedürfnisses,
stilisiert auf eigene Faust, fälscht seine unbeträchtliche Erscheinung zur Rich-
tung, da er aber wenig Gewähr in sich selbst besitzt, blickt er ängstlich umher,
ja nichts zu versäumen, was da und dort zu den Zeichen des fruchtbaren Bei-
spiels gezählt wird, behängt sich mit alten und neuen Kulturfetzen, wie Bil-
dung sie herumtrödelt, und verwandelt sich nach dem snobistischen Bedürf-
nis umbuhlter Auftragsfähiger, ein Bedürfnis, das hinwiederum vom Hören-
sagen sich nährt.
Um so glücklicher sind die Schiffbrüchigen, die in dieser von Zigeunern
durchschwärmten Wüstenei mit unverderbtem Kunstgefühl am geistigen Leben
geblieben sind, wenn einmal, wie von einem gütigen Geschick geborgen, ein
unverbrauchter, trotz unvermeidlicher Berührung mit den Seuchenherden aus
robuster Widerstandsfähigkeit gesund erhaltener Künstler auftaucht, den sie,
hungrig nach lebendiger Speise, als einen ihresgleichen erkennen, einen aus
der zersprengten Einheit des trotz allem unvergänglichen Ganzen, das, immer
wieder vertrieben und verbannt, sich dennoch nicht unterwirft und eines
Tages unterm Jubel der Mitschreier triumphierend in die alte Seelenheimat
einzieht: Der wahrhaftigen Kunst.

304
 
Annotationen