Zum Geleit
J~\ie Wandlung alles Menschlichen kommt aus der Atmosphäre. Nicht aus dem Erdboden
/ Jkommt sie, denn auch der Erdboden empfängt, wenn nicht seine Gestalt, so doch das
Leben, das er trägt, aus der Atmosphäre. Die Atmosphäre ist es, die die Völker schafft -
und trennt. Wo über einem Volke die Atmosphäre sich ändert, wird auch innerhalb dieses
selben Volkes der Unterschied der Menschen nach ihren Wohnplätzen so groß werden bis
zum Auseinanderfallen in fast verschiedene Rassen. Wenige Deutsche wissen, daß für sie
nicht nur Annäherung an den Süden gesteigertes Licht und Wärme bedeutet, sondern daß
auch jede Reise nach Westen ihn in einen sehr viel zeitigeren Frühling, in einen beträcht-
lich heißeren Sommer, in einen wohlig späteren Herbst, in einen zauberhaft milden Winter
bringt. Die Vegetation westlicher Flußtäler (Rhein, Mosel, Main, Neckar) entspricht der
Oberitaliens: unabsehbare Hänge des Weins, die Wälder der Kastanien, die Haine der
Nußbäume, alles von Efeu urwaldmäßig umhangen, unendliche Fülle von Obst adeligster
Art, in den Gärten Zeder, Zypresse, Taxus, Lorbeer, die Stämme der Magnolien, die
Riesenbüsche des Rhododendron. Aber während die Lüfte Italiens hell und glasklar
die Fernen nähern, durch Trockenheit und steilere Stellung zur Sonne, ist der Himmel
des deutschen Westens silbern undurchsichtig, satt von der heißen Feuchtigkeit des Golf-
stroms, der auch Frankreich und England jene unvergeßliche Milde bringt, die Tag und
Nacht kaum scheidet.
So ist es nicht Zufall, daß deutsche Kultur zuerst am Rhein aufblüht. Und nichts ist
dem Rheinländer so fremd und erstaunlich, als wenn er sich von den östlichen Deutschen
als Grenzländer angesprochen hört. Nicht Grenzmark ist hier, sondern das Herz Deutsch-
lands. Von hier strahlt Licht und Wärme der Kultur seit zwei Jahrtausenden in den
kargen Norden und Osten des Landes. Hier leuchten Städte und Dome längst, als im
Norden und Osten noch Holzhütten an den Rand der Sumpfwälder sich flüchten. Heute
noch, in einem Jahrhundert, das den Hammer märchenhaften Fleißes in die Hand ge-
nommen hat, ist hier ein Geschlecht, das am beweglichsten die neue Zeit begriff und
an seinen Ufern die gewaltigsten Werke der Industrie schuf, seine Straßen, Flüsse, Ge-
leise am dichtesten mit Verkehr füllte und, über dieses Äußerliche hinaus, ein Deutschtum
innerlicher Art erweist, das in selbstsicherer und heiterer Abwehr des Herzens dem An-
drang fremder Gewalt widersteht, klug genug, sich trotzdem von ihr befruchten zu lassen.
Dieses Volkstum an milden und üppigen Ufern, beweglicher, sorgloser, geöffneter, far-
biger, dem Himmel dankbarer und ihm darum genäherter, muß auch in allen Ausstrah-
lungen der Kultur sichtbar werden. Es mag in der fagd der zwei Jahrtausende manchmal
verdeckt sein hinter äußerem Gepränge oder Schicksalsnot; aber immer wieder taucht es
auf und zeigt sein starkknochiges Gesicht mit der freien Stirn und Augen, die die Träume
zweier Jahrtausende in sich tragen, während sie in die Zukunft ausschauen. Mehr als
anderswo in Deutschland hat sich hier auch das Blut, das Gefühl, die Sitte gemischt:
die ewige Völkerstraße brachte die Menschen Europas von jeher dichter an diesen Ufern
zusammen als irgendwo sonst in unserm Erdteil. Auch das muß sich zeigen in der
feinsten Ausstrahlung der Seele eines Volkes, in der Kunst. Auch hier wird man wie
im Sozialen und Charakterologischen das gesunde Brausen ewigen Kampfes finden und
zum Schluß immer wieder die beschenkte und siegreiche Behauptung des Eigenen. Da
aber der Weg der Völker nicht Trennung, sondern Einigung ist, wächst die Aufgabe des
Rheinlands in das höchste Menschheitsamt hinein: der Versöhnung der Rassen zu dienen,
Brücke zu sein, vielleicht Krone zu werden über dem vernünftig und brüderlich endlich
verbundenen Westen und Osten.
Wilhelm Schmidtbonn.
J~\ie Wandlung alles Menschlichen kommt aus der Atmosphäre. Nicht aus dem Erdboden
/ Jkommt sie, denn auch der Erdboden empfängt, wenn nicht seine Gestalt, so doch das
Leben, das er trägt, aus der Atmosphäre. Die Atmosphäre ist es, die die Völker schafft -
und trennt. Wo über einem Volke die Atmosphäre sich ändert, wird auch innerhalb dieses
selben Volkes der Unterschied der Menschen nach ihren Wohnplätzen so groß werden bis
zum Auseinanderfallen in fast verschiedene Rassen. Wenige Deutsche wissen, daß für sie
nicht nur Annäherung an den Süden gesteigertes Licht und Wärme bedeutet, sondern daß
auch jede Reise nach Westen ihn in einen sehr viel zeitigeren Frühling, in einen beträcht-
lich heißeren Sommer, in einen wohlig späteren Herbst, in einen zauberhaft milden Winter
bringt. Die Vegetation westlicher Flußtäler (Rhein, Mosel, Main, Neckar) entspricht der
Oberitaliens: unabsehbare Hänge des Weins, die Wälder der Kastanien, die Haine der
Nußbäume, alles von Efeu urwaldmäßig umhangen, unendliche Fülle von Obst adeligster
Art, in den Gärten Zeder, Zypresse, Taxus, Lorbeer, die Stämme der Magnolien, die
Riesenbüsche des Rhododendron. Aber während die Lüfte Italiens hell und glasklar
die Fernen nähern, durch Trockenheit und steilere Stellung zur Sonne, ist der Himmel
des deutschen Westens silbern undurchsichtig, satt von der heißen Feuchtigkeit des Golf-
stroms, der auch Frankreich und England jene unvergeßliche Milde bringt, die Tag und
Nacht kaum scheidet.
So ist es nicht Zufall, daß deutsche Kultur zuerst am Rhein aufblüht. Und nichts ist
dem Rheinländer so fremd und erstaunlich, als wenn er sich von den östlichen Deutschen
als Grenzländer angesprochen hört. Nicht Grenzmark ist hier, sondern das Herz Deutsch-
lands. Von hier strahlt Licht und Wärme der Kultur seit zwei Jahrtausenden in den
kargen Norden und Osten des Landes. Hier leuchten Städte und Dome längst, als im
Norden und Osten noch Holzhütten an den Rand der Sumpfwälder sich flüchten. Heute
noch, in einem Jahrhundert, das den Hammer märchenhaften Fleißes in die Hand ge-
nommen hat, ist hier ein Geschlecht, das am beweglichsten die neue Zeit begriff und
an seinen Ufern die gewaltigsten Werke der Industrie schuf, seine Straßen, Flüsse, Ge-
leise am dichtesten mit Verkehr füllte und, über dieses Äußerliche hinaus, ein Deutschtum
innerlicher Art erweist, das in selbstsicherer und heiterer Abwehr des Herzens dem An-
drang fremder Gewalt widersteht, klug genug, sich trotzdem von ihr befruchten zu lassen.
Dieses Volkstum an milden und üppigen Ufern, beweglicher, sorgloser, geöffneter, far-
biger, dem Himmel dankbarer und ihm darum genäherter, muß auch in allen Ausstrah-
lungen der Kultur sichtbar werden. Es mag in der fagd der zwei Jahrtausende manchmal
verdeckt sein hinter äußerem Gepränge oder Schicksalsnot; aber immer wieder taucht es
auf und zeigt sein starkknochiges Gesicht mit der freien Stirn und Augen, die die Träume
zweier Jahrtausende in sich tragen, während sie in die Zukunft ausschauen. Mehr als
anderswo in Deutschland hat sich hier auch das Blut, das Gefühl, die Sitte gemischt:
die ewige Völkerstraße brachte die Menschen Europas von jeher dichter an diesen Ufern
zusammen als irgendwo sonst in unserm Erdteil. Auch das muß sich zeigen in der
feinsten Ausstrahlung der Seele eines Volkes, in der Kunst. Auch hier wird man wie
im Sozialen und Charakterologischen das gesunde Brausen ewigen Kampfes finden und
zum Schluß immer wieder die beschenkte und siegreiche Behauptung des Eigenen. Da
aber der Weg der Völker nicht Trennung, sondern Einigung ist, wächst die Aufgabe des
Rheinlands in das höchste Menschheitsamt hinein: der Versöhnung der Rassen zu dienen,
Brücke zu sein, vielleicht Krone zu werden über dem vernünftig und brüderlich endlich
verbundenen Westen und Osten.
Wilhelm Schmidtbonn.